Mehr als 1.000 junge Menschen aus über 140 Ländern haben sich im August auf dem Younger Leaders Gathering in Indonesien getroffen, um über Evangelisation zu sprechen. Christen aus Afrika und Asien gewinnen immer mehr an Bedeutung – während im Westen das Fundament bröckelt.
Von PRO
Foto: Lausanner Bewegung
Der christliche Glaube verbindet Kulturen: Szene auf dem Younger Leaders Gathering in Jakarta, Indonesien
Auf Davids Namensschild ist etwas anders als bei den meisten Teilnehmern des Lausanne Younger Leaders Gathering (YLG) im indonesischen Jakarta. Neben seinem Namen, der nicht wirklich David lautet, und seinem Herkunftsland China warnt ein durchgestrichenes Kamerasymbol davor, ihn zu fotografieren. Für ihn gelten besondere Sicherheitsbestimmungen – wie für den Rest der chinesischen Delegation.
Doch, Gott sei Dank, sie kann überhaupt hier sein. 2010 hatte die chinesische Regierung die Teilnahme an der Konferenz der Lausanner Bewegung in Kapstadt noch verhindert. Einige chinesische Christen wurden in der eigenen Wohnung an der Abreise gehindert, andere in letzter Minute, zum Teil am Flughafen. Das kommunistisch-autoritäre China hat eben wenig Interesse an der Verbreitung des Evangeliums.
Das nämlich ist das Ziel der Lausanner Bewegung seit ihrer Gründung 1974, an der maßgeblich die einflussreichen Evangelikalen Billy Graham und John Stott beteiligt waren: „The whole church taking the whole gospel to the whole world“ – die ganze Kirche soll das ganze Evangelium der ganzen Welt bringen.
2020 leben 80 Prozent der Christen im globalen Süden
Die globale Dimension der Christenheit, die weltweite Kirche Jesu Christi, sie ist in diesen Tagen Anfang August in Indonesien – dem Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit – in Jakarta erlebbar. Viele Teilnehmer kommen aus Asien, Afrika und Südamerika. Sie sind hier, um über Evangelisation zu sprechen, Kontakte zu knüpfen und von der Erfahrung älterer Leiter zu profitieren.
Die Europäer und Amerikaner sind längst nicht mehr das Zentrum des Christentums. Zwei Referenten der in London ansässigen Organisation „Operation World“ belegen das in einem Vortrag mit Zahlen: 1960 lebten lediglich 29 Prozent aller Christen im globalen Süden. Im Jahr 2020 werden es Schätzungen zufolge 80 Prozent sein. Das christliche Abendland verliert an Bedeutung, während Asien, Afrika und Südamerika wichtiger werden. Das Bild eines Jesus mit mitteleuropäischem Antlitz, wie es auf Gemälden bis heute zu sehen ist, wandelt sich zunehmend.
Von den mehr als 1.000 Teilnehmern aus über 140 Ländern kommen rund 20 aus Deutschland. Der Chef der Lausanner Bewegung, Michael Oh, stammt aus Japan. Die Leiterin des YLG-Planungsteams, Sarah Breuel, ist eine Brasilianerin, die in Rom wohnt. Referenten sind Männer und Frauen aus Australien, Indien, Ägypten, Großbritannien, den USA, Nordkorea, dem Iran und vielen anderen Ländern. Das internationale Musikteam singt Koreanisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Indonesisch, Arabisch. Eine eigens programmierte Smartphone-App hilft, schnell interessante Kontakte zu finden und per privater Nachricht ein Treffen zu vereinbaren. Der ganze Tag ist voll mit Vorträgen, Diskussionen, Workshops und vielen Vier-Augen-Gesprächen.
Glenn, der Erzbischof von Sydney
David, der Chinese, der nicht fotografiert werden darf, arbeitet in seiner Heimat mit jungen Landsleuten, die während eines Auslandsstudiums Christen geworden sind. Etwa 300.000 Studenten kehrten jedes Jahr nach China zurück, sagt er. Geschätzte zehn Prozent dieser Rückkehrer seien im Ausland Christen geworden, also etwa 30.000 – jährlich. Allerdings verlieren viele der jungen Christen ihren Glauben wieder, weil sie Schwierigkeiten haben, in einer lokalen Kirche Anschluss zu finden. David hilft ihnen dabei, wie er in seiner „Connect Group“, einer Diskussionsgruppe, berichtet.
Darin tauschen sich die Teilnehmer täglich über das Thema der Konferenz aus: „United in His Great Story“, es geht um die Einheit der Christen – und um Geschichte. Deutsche würden vielleicht von Geschichtsbewusstsein sprechen, der Fähigkeit, sich und sein Umfeld in einen größeren Kontext einordnen zu können und dementsprechend zu handeln. Von der Schöpfung bis zur Offenbarung diskutiert die kleine Gruppe biblisch-chronologisch die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Der Mentor der Gruppe ist Glenn Davies, Erzbischof von Sydney. Offiziell redet man ihn mit „Your Grace“ an. Hier heißt er einfach Glenn.
Muslime in Damaskus sind offen für das Christentum
Auch um die eigenen Lebensgeschichten geht es. Dazu sollen die Teilnehmer Meilensteine ihrer Biographien in kleinen Zeichnungen illustrieren. Heraus kommt ein grafischer Lebenslauf, den sie in der Gruppe teilen. Uma aus Indien kämpft in ihrem Land gegen Kinderprostitution. Die Erzieherin Roseline aus dem durch Terror von Boko Haram vergifteten Nigeria träumt davon, ein Waisenhaus zu gründen.
Als Samir aus dem syrischen Damaskus an der Reihe ist, suchen die anderen Gruppenmitglieder auf seiner Zeichnung nach den Bomben des sogenannten Islamischen Staates. Sie finden sie nicht. Keine vermummten Gestalten auf Toyota-Geländewagen, keine IS-Flaggen. Samir erzählt stattdessen von seiner Kirche, in der er Jesus kennen gelernt hat, und in der er als Jugendpastor arbeitet. Von seiner Frau und seinem Kind. Von seinem Vorhaben, in den USA zum Doktor der Theologie zu promovieren.
Über den Krieg spricht er erst, als er darauf angesprochen wird. Seine Antwort ist überraschend. „Harvest Time“, „Erntezeit“, nennt er diese krisengeschüttelte Phase, und er meint damit, dass Muslime in Damaskus nun offener für den christlichen Glauben seien als je zuvor. Durch die Schlächter des IS würden viele Syrer beginnen, den Islam und den Koran kritisch zu hinterfragen.
Vor dem Krieg habe es noch etwa sieben bis acht Prozent Christen im Land gegeben, nun sind es weniger als drei Prozent. Auch Samir hätte Syrien am liebsten verlassen. Sein Kind hat Angst, wenn die Explosionen aus der Ferne die Nacht erschüttern. Irgendwann sei ihm aber klar geworden, dass Gott eine Aufgabe für ihn in Syrien habe: „Es gibt noch viel zu tun.“
Konsumismus führt zu schwachem Glauben
Geschichten, die weit weg sind von der Situation im Westen. Im Vergleich zur Christenverfolgung und desaströsen Menschenrechtslage in anderen Ländern könnte man die Herausforderungen im Westen als Luxusprobleme abtun. Trotzdem zeichnet Os Guinness, Sozialkritiker und tatsächlich Urururenkel des berühmten Bierbrauers, ein ziemlich exaktes Bild der Probleme westlicher Gesellschaften. Der Brite steht während seiner Rede im großen Auditorium vor dem Rednerpult, spricht druckreif ohne Manuskript. Der Konsumismus und die unbegrenzte Verfügbarkeit einer Fülle an Waren habe in der heutigen Gesellschaft zu einer „Krise der Autorität“ geführt.
„Die Herausforderung unserer Zeit ist fehlende Hingabe“
In der Tat: Die Menschen im Jahr 2016 können im Supermarkt aus einer immer größer werdenden Fülle an Produkten wählen, die jeden noch so individuellen Wunsch befriedigt. Dieses Denken übertrage sich auch in die eigenen Lebensentwürfe, Glaubensüberzeugungen und in die persönliche Ethik, sagt Guinness. Der Glaube und unsere Beziehungen sind seiner Überzeugung nach zum Konsumprodukt geworden.
Es ist demnach eher unwichtig, welche Überzeugungen die wahren sind, – solange sie einem schmecken. Das gipfelt in ein Problem, das sich quer durch die Gesellschaft zieht: „Die Herausforderung unserer Zeit ist fehlende Hingabe.“ Eine nachdenkenswerte Beobachtung des britischen Denkers, die auch die nichtwestlichen Teilnehmer fesselt. Als Guinness erwähnt, seine Redezeit sei bald vorüber, fordern sie, er möge weiterreden.
Es herrscht ein besonderer Geist auf dem Lausanne Younger Leaders Gathering. Die Organisatoren schaffen es, Kopf und Herz anzusprechen, und dabei das wesentliche Anliegen, Menschen mit dem christlichen Glauben zu erreichen, nicht aus dem Blick zu verlieren. Eine Iranerin spricht darüber, wie sie Christin wurde, Hauskirchen gründete und dafür jahrelang in einer Gefängniszelle saß, in der sie für jeden Bibelvers dankbar war, den sie auswendig konnte. Auf „Leadership Panels“ geben erfahrene Leiter Tipps dafür, im Dienst zu bestehen, ohne auszubrennen. In Workshops schmieden Teilnehmer Pläne, sich international zu vernetzen und gemeinsame Projekte zu starten. Ein Marathon von zwei Wochen, an deren Ende der Kopf mehr als voll ist.
Am vorletzten Tag sitzt Davids Connect Group noch einmal zum Abendessen zusammen. Die Gruppe ist in den vergangenenen zwei Wochen sehr zusammengewachsen. Schon jetzt ist Abschiedsstimmung, denn Davids Flug nach China geht einen Tag früher. Er sagt: „Wisst ihr, was einer der Gründe war, warum ich Christ geworden bin? Weil ich jetzt weiß, dass ich meine Freunde irgendwann wiedersehe.“ (pro)
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