In der Hagia Sophia darf eigentlich gar nicht mehr gebetet werden. Das beliebte Touristenziel in Istanbul, das einst eine christliche Kirche und dann eine Moschee war, ist heutzutage ein Museum. Trotzdem waren während des Fastenmonats Ramadan dort täglich muslimische Geistliche anzutreffen, die den Koran zitierten und zum Gebet aufriefen. Das türkische Staatsfernsehen übertrug die nächtlichen Gottesdienste live, die regierungsnahen Medien feierten diesen „historischen Moment“, während die Auslandspresse den Kopf schüttelte und zu einem „respektvollen Umgang mit der Geschichte des Ortes“ aufrief. Auch der Vorsitzende des Stephanuskreises der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Heribert Hirte, hatte die Entscheidung im Vorfeld als Provokation kritisiert.
900 Jahre lang galt die um das Jahr 530 erbaute byzantinische Reichskirche im damaligen Konstantinopel als größte und bedeutendste Kirche der Welt, bis der Petersdom in Rom fertiggestellt war. Hier ließen sich die Kaiser des byzantinischen Reiches krönen. Aus dem Griechischen übersetzt heißt sie „Heilige Weisheit“. Die Osmanen funktionierten die Kirche nach der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 in eine Moschee um.
Der Gründer des modernen türkischen Staates, Mustafa Kemal Atatürk, wiederum ließ die Hagia Sophia in ein Museum umwandeln. Damit versuchte Atatürk, vier Jahre vor seinem Tod, das Kirchengebäude nicht nur religiös, sondern auch politisch zu entladen. Atatürk, der das Sultanat und das Kalifat in der Türkei abschaffte, die Trennung von Staat und Religion durchsetzte und sein Land in die Moderne aufbrechen ließ, wollte sein Land westwärts verorten.