Huber: Kein Eingriff in die menschliche Keimbahn

Moderne gentechnische Verfahren ermöglichen präzise Manipulationen am Erbgut, auch beim Menschen. Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber riet, aus ethischen Gründen auf Eingriffe in die menschliche Keimbahn zu verzichten.
Von PRO
Der Theologe Wolfgang Huber riet aus Gründen der Ethik von Eingriffen in die menschliche Keimbahn ab
Beim Treffen des Deutschen Ethikrates in Berlin am Mittwoch haben Experten über Chancen und Risiken beim Eingriff in das Erbgut, auch beim Menschen, beraten. Mehrheitlich forderten die Experten, dass die Debatte über die Möglichkeiten der neuen Techniken in der Biomedizien breiter in der Öffenlichkeit geführt werden soll, weil die Verfahren noch mit Risiken behaftet sind. Im Zentrum der Diskussion stand am Mittwoch das sogenannte CRISPR/Cas9-Verfahren. Damit können wie mit einer Schere beliebige Genabschnitte mithilfe eines Enzyms gezielt ausgeschnitten werden, um diese an anderer Stelle wieder einzusetzen. Die Erbinformationen der Gene von Pflanzen und Tieren können mit dem Verfahren gezielt umgeschrieben werden. Das Verfahren ist für Biomediziner und Gentechniker so interessant, weil es kostengünstig und präzise ist und auf bestehende Infrastukturen in den Laboren und Forschungseinrichtungen aufbauen kann. Denkbar ist, mit dem Verfahren gezielt auch in die Keimbahn des Menschen einzugreifen, damit gentisch bedingte Erkrankungen und Defekte bereits vor der Geburt eines Menschen vermieden oder behandelt werden können.

Huber: Gotteswerkzeug oder der Versuch, Gott zu spielen?

„Was sind die nächsten Mauern, die fallen?“ fragte Alt-Bischof Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das Verfahren werde bereits als die medizinsche Neuergung des ganzen 21. Jahrhunderts bezeichnet, als „eine revolutionäre Entdeckung“. In populären Darstellungen sei von einem „Gotteswerkzeug“, oder einer „Zauberschere“ die Rede. „Wo eine Entdeckung mit derartigen Worten beschrieben wird, gerät das ethische Urteil leicht in den Sog gegenläufiger Deutungen“, erklärte Huber, nämlich „Aufbruch und neue Möglichkeiten“ einerseits, andereseits die schiefe Ebene, auf der es kein Halten mehr gebe. Die Sichtweisen reichten von „apokalyptisch“ bis „heilsversprechend“. Huber sagte: „Was die einen als Gotteswerkzeug preisen, kritisieren die anderen als den vermessen Versuch, Gott zu spielen.“ Beide Sichtweisen hielt Huber für verfehlt. Der kritische Zugang zur Diskussion über neue Entdeckungen dürfe weder blockiert noch erschwert werden. Euphoriker und Apokalyptiker eine die Haltung des „Alles-oder-Nichts“. Die Ethik sei „gut beraten, den Weg des Abwägens zu gehen“, nach Chancen und Risiken zu fragen. „Auch die Rasanz der eigenen Entdeckungen sollte Wissenschaftler nicht davon abbringen, nach dem Bild vom Menschen zu fragen, an dem sie sich orientieren und die Ziele zu reflektieren, für die ihre Entdeckungen eingesetzt werden sollen – oder eben nicht.“ Huber plädierte dafür, die Grenzen des Machbaren und Möglichen in einer öffenlichen Diskussion zu führen. Er verwies auf das Embryonenschutzgesetz von 1990: „Unabhängig davon, ob dieses Gesetz wegen unvollständiger oder überholten Regelungen einer Revision bedarf, ist zu hoffen, dass dabei der Grundsatz, menschliche Embryonen nur zu Zwecken der Reproduktion herzustellen, nicht noch weitergehender als bisher schon ins Wanken gerät und schließlich fällt.“Bei der Gentechnik gelte es, Moral und Ethik zu unterscheiden. Mögliche gentische Eingriffe an Körperzellen zur Therapie sollten weiter erforscht und gefördert werden, „von weitergehenden Eingriffen“ in die menschliche Keimbahn riet Huber ab.

Theologe: „Wirkt wie ein Gespenst“

Etwa ein Fünftel der später Krebs auslösenden Mutationen am menschlichen Erbgut treten bereits in der Keimbahn eines Menschen auf. Der Vorsitzende des deutschen Ethikrates, der Theologe Peter Dabrock, verglich das CRISPR/Cas9-Verfahren mit einem „Geist“, der in der Welt der Wissenschaft, der Gesellschaft und der Bioethik umgehe, von dem eine furchteinflößende Wirkung ausgehe. „CRISPR/Cas-9 hat das Zeug, wie ein Gespenst zu wirken“, sagte Dabrock. Das Verfahren ermögliche den Wissenschaftlern ungeahnte Möglichkeiten. „Visionen, die Forscher hegen und von denen sie […] dachten, dass sie im entferntensten nicht möglich seien, […] kommen in die Nähe des Machbaren.“ Es stehe eine Revolution der Denk- und Handlungsart an. Die Technik erlaubt, dass bestimmte Tiere auf genetischem Weg ausgerottet werden könnten. Etwa Mücken, die schwerwiegende Infektionskrankeiten übertragen. „Manch einer fragte sich je nach Weltsicht sowieso, warum die Mücke als Produkt der Evolution oder als Geschöpf Gottes in die Geschichte des Lebens eingegangen ist“. Die Vernichtung einer Spezies stelle einen massiven Eingriff in Ökosysteme und die Biodiversität dar, den man zu verantworten habe. Andereseits forderten Malaria und Zita noch immer hundertausende Opfer. Das Verfahren eröffne Möglichkeiten zur Behandlung monogenetischer Erkrankungen oder die Entwicklung neuer Krebsmedikamente. Dennoch dürfe man sich der Frage nach der Ethik der neuen Technik nicht verschließen. Auch die Grundlagenforschung, die Manipulation des menschlichen Erbgutes ist in Deutschland unter normalen Umständen verboten, werfe immer wieder ethische Fragen auf, etwa wenn Embryonen vernichtet würden. Englische und chinesische Forscher sind derzeit nicht durch vergleichbare Regulierungen eingeschränkt und „forschen wild darauf los“. Es benötige keine prophetische Gabe um vorher zu sagen, „dass die endlose Diskussion um den moralischen Status des menschlichen Embryos neue Nahrung erhalten wird.“ Veränderungen am menschlichen Erbgut würden an nachfolgende Generationen weitergereicht. „Reicht es jetzt noch aus sich aus reinen Risikoabwägungen, aber nicht grundsätzlich, gegen Keimbahneingriffe oder Technologien wie CRISPR-Cas auszusprechen?“ Die Welt der jüngeren Generation werde eine „CRISPR-geprägte Welt“ sein, konstatierte Dabrock. Jörg Vogel, Wissenschaftler an der Universität Würzburg, verwies auf die rasante Weiterentwicklung des noch sehr jungen Verfahrens von CRISPR-Cas9 und dessen Einfachheit. „Es ist überall verfügbar, es ist für jeden Organismus verfügbar, es hat in den meisten Organismen eine hohe Präzision, es geht unglaublich schnell“. Vogel verwies auf die Möglichkeit, „Sicherheitsmechanismen“ bei Versuchen mit Erbgut einzubauen, die „das ganze System selbst zerstörten“, wenn Erbinformation an der falschen Stelle eingebaut würde. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/ethikratschef-zurueckhaltung-beim-eingriff-in-menschliches-erbgut-96513/
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