Ein Leben als Christ, ohne in die Kirche zu gehen: Ob das möglich ist, fragt der Norddeutsche Rundfunk (NDR) in seiner aktuellen Themenwoche. In der Debatte mit dem Titel „Wozu Kirche – glauben kann ich auch allein“ wägen zwei NDR-Redaktionsleiter das Für und Wider ab.
Die NDR-Themenwoche fragt, wie wichtig die Institution Kirche beim Glauben ist
Die NDR-Redaktionsleiterin für Religion, Anja Würzburg, versteht die heutige Skepsis vieler Menschen gegenüber der Kirche. Schon Jesus habe sein gespaltenes Verhältnis zu Institutionen ausgedrückt, als er die Händler mit seinem Wutanfall aus dem jüdischen Tempel verjagte. Die Pfarrerstochter richtet in der Debatte darüber, ob die Kirche zum Glauben gebraucht werde, in ihrer Pro-Position die Hoffnung an „charismatischen, mutigen und geradlinigen“ Menschen wie Papst Franziskus aus. Diese schafften es, in Institutionen trotz „frustrierender“ Prozesse wie Besitzstandsdenken oder Bequemlichkeit immer wieder nach oben.
Für Würzburg bedeutet Glauben, eine Beziehung mit Gott und den Menschen einzugehen. Der geeignete Ort, Menschen zu finden, die sich gemeinsam auf den Weg zu Gott machen, seien Kirchengemeinden. „Kirche ist eine Institution, die einen klaren Kompass hat und Wächter sein kann“, betont Würzburg im Hinblick auf eine „verunsicherte Gesellschaft“. Für sie zeigt sich auch die Kirche als Ort der Nächstenliebe und Barmherzigkeit im Umgang mit Flüchtlingen. Beide Konfessionen hätten sich klar zu einer Gesellschaft positioniert, die Menschen auf der Flucht versorge und integriere. Ein Ort, wo Menschen gemeinsam die guten Absichten Gottes in die Tat umsetzen, ist in ihren Augen das stärkste Argument für die Kirche: „Wir brauchen diese Kirche mehr denn je.“
Glaube wie „Wahl des besten Handytarifs“
Stephan Frizsche, der NDR-Info-Redaktionsleiter für Kultur, vertritt die Contra-Seite. Er brauche keine Kirche, um seinen Glauben leben zu können: „Gelenkter Glaube ist nichts für mich“. Nachvollziehen kann er, dass die Kirche als Institution für viele Menschen ein Lebensanker sei. Er plädiert auch nicht für eine Abschaffung. Er vergleicht seinen Glauben mit der „Wahl des besten Handytarifs“, weil er ihn sich außerhalb der Kirche so zusammenstellt, wie er ihn gern möchte. Von Vorschriften, die aus der Bibel abgeleitet werden, hält er nichts.
Ein weiterer Artikel in der NDR-Themenwoche lässt den Vizepräsidenten im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Horst Gorski, zu Wort kommen. Auf die Frage, ob man Christ sein kann, ohne der Kirche anzugehören, sagt er: „Im strengen Sinne selbstverständlich.“ Ansonsten sei es eine unendliche Bevormundung. Christsein entscheide sich an der inneren Einstellung im Herzen, die niemand von außen reglementieren könne. Gorski sieht auch bei Menschen, die der Institution Kirche nicht sonderlich nah stehen, viele geistliche Erlebnisse im Leben. Durch die Natur oder beispielsweise die Musik spürten sie die unmittelbare Nähe zu Gott im Wirken des Heiligen Geistes.
An erster Stelle steht kirchliche Bestattung
Petra-Angela Ahrens, die Mitarbeiterin des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat bei Befragungen von Kirchenmitgliedern festgestellt, dass eine Mehrheit der Evangelischen mittlerweile nicht mehr an ein Leben nach dem Tod glaube. Es seien meist pragmatische Gründe, warum Protestanten nicht aus der Kirche austreten: „An erste Stelle steht die kirchliche Bestattung“.
Die Gründe für einen Kirchenaustritt haben sich demnach in den vergangenen Jahrzehnten auch verschoben. Früher nannten die Befragten am häufigsten den Grund, dass sie auch ohne Kirche Christ sein können. Dann sei die Kirchensteuer als Grund hinzugekommen. Heute argumentieren die Menschen vermehrt, sie fänden die Kirche unglaubwürdig und könnten nichts mehr mit dem Glauben anfangen. (pro)
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