Ein Jahr nach ihrer Gründung zieht Pegida wieder tausende Menschen auf die Straße. Ihre Forderungen sind mittlerweile auch von Politikern und in „Mainstream-Medien“ zu hören. Trotzdem kann Pegida nicht die Form des Protestes sein, die dem „christlichen Abendland“ sein Gesicht gibt. Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Pegida gibt es seit einem Jahr. Die verschärfte Flüchtlingskrise hat der Bewegung neuen Zulauf verschafft
Heute Abend feiert die asylkritische Bewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – Pegida – ihr Einjähriges. In Dresden werden etwa 20.000 Pegida-Anhänger erwartet. Auch ist mit massiven Gegendemonstrationen zu rechnen. Nach einer Teilnehmerflaute während der Sommermonate wächst Pegida wieder. Die Bewegung profitiert davon, dass sich die Flüchtlingskrise in den vergangenen Wochen verschärft hat; dass immer mehr Demonstranten auch unmittelbarer mit Asylbewerbern in Berührung kommen; dass die Probleme der Unterbringung, der Gewalt, die Schwierigkeiten einer möglichen Integration und lange behördliche Wege immer offensichtlicher werden; dass öffentlich immer mehr Zweifel an Angela Merkels Optimismus „Wir schaffen das“ laut werden.
Während bei Pegida beispielsweise „Abschiebung“ noch nie ein Tabu war, ließen sich Politiker und Medienöffentlichkeit lange Zeit kaum mit dergleichen Forderungen vernehmen. Das hat sich mittlerweile geändert. Grenzen schließen, bestehendes Recht durchsetzen, Migranten auf deutsches Recht und Ordnung verpflichten – das ist nicht mehr nur auf den Kundgebungen zu hören.
Auch Christen sind bei den „Spaziergängen“ von Pegida dabei. Auch jüngst wieder trug ein Demonstrant ein schwarz-rot-goldenes Kreuz, umrahmt von einer Lichterleiste. Christen begründen ihre Teilnahme etwa so: Es geht uns um die Achtung der deutschen Kultur und Tradition; wir wollen keine Menschen, die sich der demokratischen Grundordnung widersetzen und unsere Frauen belästigen (muslimische junge Männer); wir wollen „echte“ Flüchtlinge, am besten Christen, denn Muslime können in muslimischen Ländern Zuflucht finden; wer uns eine fremde Kultur und Lebensart aufzwingen möchte, darf nicht hierher kommen.
Frust über politische Eliten
Zwischen den Zeilen und auch explizit geht es in dieser Argumentation um den Islam, wie es auch im Namen der Pegida-Bewegung steckt. Hört man sich diese Rhetorik ebenso wie die auf den Pegida-Kundgebungen an, entsteht das Bild des „nicht integrationswilligen, gewaltbereiten, männlichen, kräftigen Muslims“, was sich aber trotz aller Differenzierungsversuche recht allgemein mit Flüchtlingen als solchen vermischt. Aktuelle Beispiele von Konflikten in Asylbewerberheimen oder von Gewalt und Respektlosigkeiten Deutschen gegenüber verstärken dieses Bild und die Angst davor. Auf diese Weise vermischen sich sehr leicht Fakten und Stereotype. Pegida befeuert dies mit Schlagwörtern wie „Geburtendschihad“ oder „muslimische Horden“.
Bei Pegida geht es aber um weit mehr als die „Islamisierung des Abendlandes“. Viel tiefer sitzt bei den Demonstranten eine Frustration und eine Machtlosigkeit gegenüber politischen, wirtschaftlichen und medialen Eliten, von denen sie sich nicht ausreichend repräsentiert fühlen; das Gefühl, mit der demokratischen Wahl letztlich nichts ausrichten zu können. Die Migrationsproblematik scheint nur ein Thema zu sein, an dem dies besonders greifbar wird und zum Protest führt. Indem Politiker und Medien vor Pegida warnten und die Bewegung als „rechts“ oder „ausländerfeindlich“ brandmarkten, fühlten sich die Pegidisten in ihrer Wahrnehmung nur bestätigt. Auch mit dem Vorwurf, dass über Pegida wesentlich kritischer berichtet würde als über gewaltsame Ausschreitungen von Linksautonomen, hat Pegida nicht Unrecht.
Pegida ist nicht einfach nur „rechts“. Zwar gibt es deutliche Bezüge zu rechtsextremen Gruppierungen und rechtspopulistischen Politikern. So hat beispielsweise der niederländische Politiker Geert Wilders bei Pegida gesprochen; mit der Rechtspopulistin und ehemaligen AfD-Frau Tatjana Festerling trat Pegida bei der Dresdener Oberbürgermeisterwahl an. Aber die Mehrheit der Teilnehmer würde sich wohl eher als „besorgte Bürger“ einstufen denn als Nazi-Sympathisant. Das legen verschiedene Studien nahe, die herauszufinden versuchten, wie der typische Pegidist aussieht.
Es ist Pegida zugute zu halten, dass sie sich sehr konsequent um friedliche und gewaltfreie Proteste bemüht. Christen sollten dennoch sehr genau überlegen, ob Pegida die Protestform ist, mit der sie zeigen wollen, wie das „christliche Abendland“ aussieht. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Rhetorik auf Pegida-Kundgebungen ist abgesehen von den genannten Forderungen geprägt von aufheizenden, abwertenden Stereotypen und Generalisierungen gegenüber Migranten im Allgemeinen und Muslimen im Besonderen. Asylbewerber kämen als Invasoren, sie wollten Deutschland missbrauchen, sich durchfüttern lassen und Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen – diese Argumentationsmuster tauchten schon in früheren Ausländerdebatten auf. Dabei sei auf das Dilemma hingeweisen, dass arbeitende Migranten sich nicht „durchfüttern“ lassen würden. Aber arbeiten sollen sie ja auch nicht, denn es gebe genug arbeitslose Deutsche.
„Selig sind, die Frieden stiften“
Auch die Art und Weise, wie über Politiker und Medienvertreter gesprochen wird, ist alles andere als respektvoll. Wenn Angela Merkel von den Rednern als „Zombie-Kanzlerin“ bezeichnet oder der Name Thomas de Maizères als „Misere“ verunglimpft wird, jubeln die Pegidisten. In der vergangenen Woche trug ein Demonstrant einen kleinen Holzgalgen mit sich herum, an dem Plätze für Angela Merkel und Sigmar Gabriel reserviert waren. Es ist die Frage, ob diese Symbolik so viel öffentliche Empörung verdiente, während sich über eine Guillotine für Gabriel auf einer linken Großdemo gegen das Freihandelsabkommen TTIP in derselben Woche kaum jemand öffentlich aufregte. Aber selbst wenn es ein „trauriger Einzelfall“ war, macht das die Gesinnung dahinter nicht besser. Schlagworte wie „Hochverrat“, „Volksaustausch“, „Asyltourismus“ und „Märchen von Traumatisierungen“ heizen die Stimmung auf statt zu Lösungen in der Krise beizutragen. Und natürlich ist es ein Leichtes für extremistische Kräfte, daraus Kapital zu schlagen.
Tatjana Festerling sagte bei der Pegida-Kundgebung am 28. September in Dresden: „So langsam sollten sich die freiwilligen Mitarbeiter von THW, Rotem Kreuz und den Bürgerinitiativen mal überlegen, ob sie sich weiter von den planlos agierenden Politikern für die Zerstörung Deutschlands missbrauchen lassen wollen.“ Schließlich habe Ehrenamt etwas mit Ehre zu tun. Applaus vor der Bühne. „Überlegt bitte, ob ihr euch mitschuldig machen wollt an der Abschaffung unserer Freiheit. […] Mit eurer zutiefst guten Hilfsbereitschaft befeuert ihr das ‚System Merkel‘ und die macht uns zur fetten Beute für muslimische Invasoren.“
Solche Hetze sollten Christen nicht mittragen. Sieht so das „christliche Abendland“ aus? Das entbehrt jedem Respekt, jeder Anerkennung, es schafft Feindbilder, schürt Ängste. Eine Debatte, ein Ringen um Lösungen der Krise ist das nicht. Christsein bedeutet, einen Unterschied zum gesellschaftlichen Umfeld zu machen – im besten Fall einen positiven. Zum Beispiel zu den anderen Pegida-Demonstranten, von denen der Großteil angibt, konfessionslos zu sein. Und bei aller Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie – sie hat uns in Deutschland seit sechs Jahrzehnten den Frieden bewahrt! Deshalb sollten sich Christen genau dafür einsetzen, statt denen hinterherzulaufen, die die Verunsicherung und die Ängste schüren. Ängste sind da, natürlich. Aber wer Christus auf seiner Seite weiß, muss sich davon nicht leiten lassen. Jesus hat gesagt: „Selig sind, die Frieden stiften.“ Das sollten wir uns zu Herzen nehmen. Angesichts der aufgeheizten Stimmung und der kälter werdenden Temperaturen wird das dringend notwendig sein. (pro)
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