Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Grenzen Deutschlands für Flüchtlinge geöffnet. „Wir schaffen das!“, ist ihre Parole. Wie ist das aus christlicher Sicht zu bewerten? MDR-Reporter Michael Voß findet Merkels Linie gut. Hartmut Spiesecke, Pressesprecher eines Industrieverbandes, kritisiert diese Politik. Zwei Gastkommentare
Von PRO
Foto: pro/J. Steinert
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Unterkünfte sind knapp. Das ist ein Grund, warum die die großzügige Flüchtlingspolitik der Regierung auch auf Widerstand stößt.
Ich wünsche mir mehr Samariter
von Michael Voß, Reporter für MDR-INFO u.a.
Jesus steht an einem Grenzübergang zwischen Bayern und Österreich. Menschen, die mit Autos einreisen, lässt er unkontrolliert passieren. Menschen, die mit dem Zug kommen und in größeren Gruppen zusammensitzen, womöglich andere Sprachen sprechen, die kontrolliert er. Und sobald er herausbekommt, dass sie aus einem Krisengebiet kommen und kein Visum für Deutschland haben, sagt er: „Geht zurück in euer Land, wo Krieg herrscht und wo ihr verfolgt werdet.“
Wer kann sich Jesus so vorstellen? Ich nicht.
Und deshalb finde ich es gut, dass die Bundesregierung in dieser Notsituation hilft. Deutschland ist eine der führenden Wirtschaftsmächte der Welt. Deutschland geht es besser als den meisten europäischen Ländern. „Noch!“, höre und lese ich da oft als Kritik. Aber meistens sind es dieselben Kritiker, die 1990 auch meinten, die alte Bundesrepublik würde die deutsche Einheit finanziell nicht verkraften. Hat sie aber.
Bundeskanzlerin Angela Merkel weiß das. Und sie bleibt unbeirrt dabei: Den durch Krieg und Terror Vertriebenen muss geholfen werden. Sie lässt sich von dieser Haltung nicht abbringen. Auch nicht, als auf einer Zukunftskonferenz im sächsischen Schkeuditz Parteifreunde ihre „Entthronisierung“ fordern. Angela Merkel riskiert ihre politische Karriere, um den bedrohten Menschen zu helfen. Sie handelt, während andere noch immer über Formalien diskutieren und oft nur die eigenen Interessen im Sinn haben.
Wie würde Jesus handeln?
Jesus selbst hat es uns erzählt: Im Gleichnis vom Samariter (Lukas 10,29-37) wird er klar und deutlich. Da gibt es einen Mann, der von einer Bande zusammengeschlagen wird und halbtot am Straßenrand liegt. Ein Priester und ein Tempeldiener ziehen vorbei, ohne sich um ihn zu kümmern. Erst ein Mann vom damals sehr unbeliebten Stamm der Samariter kümmert sich um den Schwerverletzten. Er behandelt die Wunden. Anschließend trägt er ihn in die Stadt, wo er den Verletzten in einem Gasthof besser verpflegen und versorgen kann.
Ich wünsche mir mehr Samariter, die Hilflose uneigennützig in Sicherheit bringen und für deren Wohl sorgen.
Wie würde Jesus weitermachen?
Er sagt ganz eindeutig am Ende des Gleichnisses vom Samariter: „Dann geh und folge seinem Beispiel!“ Angela Merkel und die Bundesregierung haben das offenbar verstanden.
Nun muss allerdings das anfängliche Chaos geordnet werden – so wie der Samariter nach der Vor-Ort-Hilfe geordnet im Gasthof weitergeholfen hat. Nichthilfsbedürftige müssen nach Haus geschickt werden, damit sie Hilfsbedürftigen nicht den Platz wegnehmen. Dafür gibt es gesetzliche Regelungen. Der Bund und auch die Länder sind gefordert, das entsprechende Personal dafür zur Verfügung zu stellen. Und auch der Rest Europas muss mitmachen, wenn uns unsere gemeinsame „abendländische“ Kultur wirklich wichtig ist.
Die Priester und Tempeldiener dieser Welt müssen sich entscheiden: Christliche Nächstenliebe oder eine ichbezogene Stör-mich-nicht-Mentalität.
Jesus hat sich da deutlich entschieden und uns zum Nachmachen aufgefordert.
„Wir schaffen das“ reicht nicht
von Dr. Hartmut Spiesecke, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Industrieverbandes
Alle Menschen, die in den letzten Monaten nach Deutschland gekommen sind, sind Kinder Gottes wie wir selbst. Wo sie unsere Hilfe brauchen, da sollen wir sie geben. Barmherzig ist unter anderem, wer Fremde beherbergt, weil Jesus in ihnen wie in uns lebt. Das lehrt uns Jesus selbst in der Rede vom Weltgericht (Matthäus 25, 31-46). Die Menschen, die in ihrer Not vor uns stehen, brauchen uns als Mitmenschen. Und wir handeln als Christen für unsere Nächsten.
Millionen Menschen haben sich auf den Weg nach Europa gemacht, um hier ihre Zukunft zu gestalten. Etwa die Hälfte aller nach Europa Geflüchteten sind nach Deutschland gekommen, und es werden täglich mehr. Behörden und Hilfsorganisationen stoßen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Dies wirft Fragen auf und macht vielen Menschen in Deutschland Sorgen.
Deutschland verzichtet seit einigen Monaten auf einen wichtigen Teilbereich seiner staatlichen Souveränität, nämlich auf die Entscheidung, wer nach Deutschland kommen darf und wer nicht. Faktisch haben wir zur Zeit eine ungesteuerte Zuwanderung. Kein Sozialstaat der Erde kann sich dies auf Dauer erlauben. Wie will die Bundesregierung die verlorene Souveränität Deutschlands zurückgewinnen? Hier sind Antworten gefragt.
Zugegeben: Die Verweigerung vieler anderer europäischer Staaten, flüchtende Menschen aufzunehmen, ist nicht die Schuld der deutschen Regierung. Aber warum pocht kaum noch jemand auf geltendes europäisches Recht, nach dem die jeweiligen Staaten die europäischen Außengrenzen sichern müssen? Und ob unsere Gesellschaft wirklich so konsequent ist, abgelehnte Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge nach dem Krieg wieder in ihre Heimat zu schicken, muss sich erst noch erweisen.
Die Integration vieler Menschen aus anderen Kulturkreisen, Rechtssystemen und Religionen ist eine große Herausforderung, die unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren nachhaltig verändern wird. Aus der jüngeren Vergangenheit kennen wir viele Beispiele gelungener Integration – aber auch viele schlechte. Berlin-Neuköllns ehemaliger Bürgermeister Heinz Buschkowsky und andere haben zu Recht Parallelgesellschaften, Polizei-freie Straßenzüge, fehlende Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen und übersteigerte Familienehre kritisiert.
Es ist unglaubwürdig, so zu tun, als sei die Integrationskraft Deutschlands unendlich. Besser wäre es, im gesellschaftlichen Diskurs ein Maß zu finden und dann auch die dafür notwendigen politischen, rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen. Zugegeben: Die Lage ist außerordentlich schwierig. Das ist aber kein Grund, die notwendige Diskussion zu verweigern.
Woher kommt das Geld für die notwendige Hilfe, für Integrationsmaßnahmen, für Sprach- und Qualifizierungskurse? Die Bundesagentur für Arbeit erwartet mittelfristig eine Million zusätzlicher arbeitsloser Flüchtlinge. Wie können wir die Kosten dafür aufbringen? Was kann dann nicht finanziert werden? Wie kann der Schulunterricht mit vielen nicht Deutsch sprechenden Kindern gelingen? Welche Zukunft hat der Schul- und Vereinssport, solange viele Sporthallen als Unterkünfte gebraucht werden? Verantwortliche Bürger und besorgte Eltern möchten das wissen.
Wir dürfen all unsere Sorgen auf Gott werfen (1. Petrus 5,7). Und wir können Herausforderungen als Chance verstehen, sie mit seiner Hilfe zu gestalten. Wahre Zuversicht hat ihren Grund im Allerhöchsten. Die Antwort auf ein paar diesseitige Fragen muss aber die Bundesregierung geben. „Wir schaffen das“ wird alleine nicht reichen. (pro)
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