„Das Wort ‚evangelikal‘ ist unter die Räuber gefallen“

Was bedeutet eigentlich „evangelikal“? Diese Frage versuchte die Radiosendung „SWR2 Glauben“ am Sonntagvormittag zu beantworten. Zu Wort kamen unter anderem Michael Diener, Jürgen Werth und Andreas Malessa.
Von PRO
Evangelikale Gemeinden hat die Radiosendung „SWR2 Glauben“ unter die Lupe genommen
Etwa eine Million Christen in Deutschland nennen sich evangelikal, erklärt die Sendung. Der Begriff sei mit einem konservativen Weltbild verbunden, mit Gegnerschaft zu Homo-Ehe und mit Fundamentalismus. Der Autor Daniel Kaiser besuchte für die Sendung verschiedene Gottesdienste evangelikaler Gemeinden, so auch die charismatische Pfingstgemeinde Elim in Hamburg. Dort trifft er auf Popmusik, Schlagzeug und Scheinwerfer. „Locker im Ton, es wirkt wie eine Unterhaltungsshow im Fernsehen“, beschreibt er seinen Besuch. Der Journalist und ordinierte Baptisten-Pastor Andreas Malessa beschreibt als Kennzeichen evangelikaler Frömmigkeit: „Die Ansprache persönlich, die Botschaft bibeltreu“. Er fügt hinzu: „Wenn man die Presse verfolgt, und auch die eigene evangelikale Presse, dann kommt man leider auf die Faustformel: Evangelikal – das bedeutet ‚Gott schuf die Welt in sechs Tagen‘, ‚Frauen gehören nicht auf die Kanzel‘ und ‚Kinder nicht in die Kita‘ und ‚Schwule nicht in die Kirche‘ und ‚Muslime nicht zu Deutschland‘. Das ist so ein holzschnittartiges Programm geworden, das aber nicht der evangelikalen Gemeindewirklichkeit entspricht.“ Die Bezeichnung „evangelikal“ habe ursprünglich lediglich bedeutet: „dem Evangelium verpflichtet“. Malessa findet: „Das Wort ist unter die Räuber gefallen.“

Die Definition der Kanzlerin von „evangelikal“

Michael Diener, der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, sagt im Interview auf die Frage, was für ihn evangelikal bedeute: „Ich halt‘s seit einiger Zeit mit der Definition, die die Bundeskanzlerin vor zwei Jahren gegeben hat. Da sprach sie davon, dass Evangelikale die ‚intensiv evangelischen‘ sind.“ Der Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thies Gundlach, sagt, das Bild der Evangelikalen in der Gesellschaft sei momentan verzerrt und werde ihnen nicht gerecht. Er findet es unangemessen, Evangelikale als Fundamentalisten abzustempeln. Im Grunde seien dies aber Menschen, die sich darauf besinnen, „was wirklich stabile Orientierungspunkte sind“ und in der wörtlichen Übernahme der Bibel Sicherheit und Halt in dieser nicht ganz einfachen Welt finden. Jürgen Werth, ehemaliger Direktor von ERF Medien, sagt: „Es gibt bei uns an den Rändern Gruppierungen, die sind extremer als der Rest. Das ist überall so – das ist in jeder Volkspartei so. Das ist auch bei Fußballvereinen so. Niemand käme auf den Gedanken, nur weil es irgendwelche total durchgeknallten Hooligans gibt, den Fußball oder die Bundesliga schlechthin in Frage zu stellen. Das passiert im Moment mit den Evangelikalen – darüber bin ich nicht so recht glücklich.“

Keine Mitgliedschaft für Schwule und Lesben

Der Autor der Sendung gibt aber zu Bedenken: „Auch der Kern evangelikalen Glaubens befremdet viele Menschen. Die Bibel wird bisweilen wörtlich verstanden.“ Auch sei die Moral ein wichtiges Thema in vielen evangelikalen Gruppen. „Die Ehe ohne Trauschein oder Sex vor dem Eheversprechen sind in manchen Gemeinden Ausschlusskriterien.“ Diener erklärt: Im Leben eines Evangelikalen spiele die „Korrektur“ von Brüdern und Schwestern eine Rolle. „In der evangelikalen Bewegung herrscht eine hohe Sensibilität dafür, dass man Rechtfertigung und Heiligung in einen angemessenen, der Freiheit entsprechenden Zusammenhang bringt. Manchmal misslingt das auch.“ Pastor Christian Wegert von der evangelisch-reformierten Gemeinde „Arche“ in Hamburg betont die Vielfältigkeit der Gemeindemitglieder. „Wir haben hier eigentlich alles.“ Der Radio-Autor fügt hinzu: „Fast alles. Schwule oder Lesben dürfen kein Arche-Mitglied sein.“ Wegert erklärt: „Wir sehen, dass die Homosexualität genauso wie auch andere Lebensformen, die nicht von der Heiligen Schrift abgedeckt sind, eine Mitgliedschaft nicht möglich macht. Wir diskriminieren niemanden – auch keine Homosexuellen, sondern wir rufen auf, ein biblisches Familienbild zu leben – positiv – das ist unsere Botschaft.“ (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/detailansicht/aktuell/michael-diener-mit-dem-finger-nicht-nur-auf-andere-zeigen-93011/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/kampf-um-gleichheit-93023/
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/veranstaltungen/detailansicht/aktuell/einstimmige-kritik-an-homo-heilern-92263/
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