Es begann in den fünfziger Jahren mit einem klapprigen VW-Käfer und einem niederländischen Visionär. Mittlerweile blickt das internationale christliche Hilfswerk Open Doors auf eine sechzig Jahre andauernde, „Wunder-volle“ Geschichte zurück. Und auf Erlebnisse mit einem Gott, der gefährliche Aktionen möglich und „sehende Augen blind“ machte.
Von PRO
Foto: Open Doors
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Es war eine Nacht im Juni des Jahres 1981. Vielleicht war sie sternenklar, vielleicht aber auch wolkenverhangen und stockdunkel. Sicher ist jedoch, dass sich in dieser Nacht des 18. Juni vor der südchinesischen Küste das „Projekt Perle“, eines der gefährlichsten und größten Schmuggelprojekte aller Zeiten, abspielte – zumindest in der nun 60-jährigen Geschichte des Hilfswerks Open Doors. „Die Nacht der eine Million Wunder“, werde das Unternehmen auch genannt, sagt Markus Rode, Leiter des deutschen Zweiges. An chinesischen Kriegsschiffen vorbei und hinein in die streng bewachte Küstenregion transportierten Open-Doors-Mitarbeiter in einer einzigen Nacht eine Million chinesische Bibeln für die dortigen Untergrundgemeinden. Zwei Stunden lang luden sie die Bibeln am Strand aus, ohne aufgehalten zu werden. Als schließlich doch Militär und Polizei auftauchten, musste das Team einige Kartons mit Bibeln zurücklassen. Versuche der Beamten, die Bibeln zu verbrennen, schlugen wegen der Feuchtigkeit fehl und so überließen sie sie der Strömung. Dadurch hätten sie sich später im ganzen Land unter dem Spitznamen „die Bibel, die aus dem Wasser kommt“ verbreitet. Militär und Polizei seien so „Instrumente in den Händen Gottes“ gewesen, sagt Rode.
Arbeit „undercover“
Rode kann viele solcher Wunder aufzählen. Ein ganzes Buch könne er allein darüber schreiben, sagt er. Die Geschichte der Organisation sei „wie eine Perlenkette von Wundern“. Man könnte sagen, diese Perlenkette begann mit einem VW-Käfer. Jenem Auto, in dem der Niederländer Bruder Andrew, der mit bürgerlichem Namen Anne van der Bijl heißt, die ersten Bibeln hinter den Eisernen Vorhang schmuggelte. Das war in den Fünfzigerjahren. Bei einer Reise nach Polen im Jahr 1955 und nach seinem ersten Treffen mit Christen im Ostblock habe Bruder Andrew seine Berufung in einem Vers aus dem biblischen Buch der Offenbarung gefunden: „Werde wach und stärke das, was abzusterben droht.“ (Kapitel 3, Vers 2.) Der Pionier ist heute 87 Jahre alt. Sein Werk hat sich mittlerweile zu einer international verzweigten Organisation entwickelt. Einen Hauptsitz gibt es nicht, in etwa 25 Ländern hat das Werk Büros, die auf Basis eines gemeinsamen „Mission- und Vision-Statements“ eng zusammenarbeiten. Insgesamt ist Open Doors in rund 80 Ländern aktiv.
Die Beschaffung christlicher Literatur für Christen im Untergrund – seien sie in Nordkorea, China, Vietnam oder islamischen Ländern angesiedelt – laufe heute aber ähnlich ab wie zu Bruder Andrews Zeiten. Die „Schmuggelmobile“ hätten sich zwar gewandelt und mittlerweile nutze Open Doors auch verstärkt digitale Medien. „Aber das Prinzip ist dasselbe. Wir müssen immer wieder kreative Wege finden, wie wir Bibeln in Länder bringen, wo es unter großer Strafe steht“, sagt Rode. Immer seien sie dabei auf Gottes Hilfe angewiesen. Andrew habe damals in seinem VW-Käfer gebetet: „Herr, du hast blinde Augen sehend gemacht. Jetzt mach sehende Augen blind.“
Mehr darf Rode aus Sicherheitsgründen nicht über die Lieferungen sagen, um die Arbeit vor Ort nicht zu gefährden. In vielen Ländern arbeite die Organisation auch unter anderem Namen: „Die Schlüsselpersonen kennen nicht immer den Namen Open Doors, damit das Risiko nicht zu groß wird.“ Die „Schlüsselpersonen“ helfen dem überkonfessionellen Hilfswerk, Nachrichten aus der Welt der verfolgten Christen in die freie Welt zu bringen. So möchte die Organisation eine Brücke zwischen den Christen hier und dort sein. Oft kommen die Informanten selbst auf Open Doors oder dessen anonymisierte Vertreter zu. Dadurch bekommt es Informationen aus erster Hand. Die Kontakte sprechen sich im Untergrund herum. „Sie bitten uns, dass wir ihre Situation bekannt machen“, sagt Rode.
„Jedes Glied, das leidet, soll von anderen unterstützt werden.“ Das bedeute, nicht nur finanzielle Förderung oder Nothilfe in Krisengebieten zu leisten, sondern oft auch Gebetsunterstützung. „Unser Hauptziel ist, weltweit den Leib Christi zu stärken und besonders diejenigen, die sich im Untergrund verstecken müssen.“ In den Ländern, in denen Open Doors aktiv ist, gebe es ein weit gefächertes Untergrundnetzwerk. Einige Mitarbeiter ständen sogar auf Todeslisten, seien entführt oder umgebracht worden. Das sei jedoch nicht öffentlich bekannt, denn in diesen Ländern arbeite Open Doors, wie Rode sagt, „undercover“.
Welche Länder das sind, sagt er nicht. Jedoch stimmten sie häufig mit den Ländern überein, die den Weltverfolgungsindex anführen. Open Doors erstellt jedes Jahr eine Liste der 50 Länder, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. An der Spitze steht seit 13 Jahren Nordkorea. Sind es in der Anfangszeit der Organisation eher kommunistische Länder gewesen, so sind mittlerweile auch viele islamische Länder vorn dabei, darunter Irak, Syrien, Afghanistan oder Iran. Um einzuordnen, wer als verfolgter Christ gilt, orientiert sich Open Doors an der Definition des Begriffs „Verfolgung“ im Internationalen Recht. Der richte sich dort nach dem, was das UN-Flüchtlingshilfswerk als Verletzung der Menschenrechte definiere, erklärt Rode.
Einige säkulare und kirchliche Medien kritisierten, dass damit nicht zwischen verschiedenen Arten von Verfolgung unterschieden werde. Rode entgegnet darauf: „Würden wir es enger definieren und noch mehr differenzieren, gäbe es ein heilloses Durcheinander.“ Verfolgung sei letztendlich etwas, das von den Christen vor Ort subjektiv empfunden werde. Deshalb gelten nach Einordnung von Open Doors neben Christen, die mit physischer Gewalt konfrontiert sind, auch diejenigen als verfolgt, die im sozialen Leben oder vom Staat nachweislich wegen ihres Glaubens diskriminiert werden. Für den Index analysiert das Werk mithilfe der Kontaktpersonen sechs verschiedene Bereiche anhand von insgesamt etwa 100 Kriterien. Die Organisation untersucht zum Beispiel, ob Christsein im Privaten möglich ist oder ob kirchliches Leben stattfinden kann. Rode betont, dass es dabei nicht um wissenschaftliche Erkenntnisse gehe. Das Werk versuche, die Situation und die „Antriebskräfte für Verfolgung“ aus Sicht der Betroffenen zu identifizieren.
Obwohl die Lage für Christen weltweit schwieriger werde, erinnert sich Rode an viele Momente, wo „Jesus am Werk ist“. Dort, wo Verfolgung besonders hart sei, kämen viele Menschen zum Glauben. Vor fünf Jahren habe Open Doors die erste vietnamesische Kinderbibel produziert und dort im „sechsstelligen Bereich“ verteilt, nachdem ähnliches in China schon 1994 möglich gewesen sei. Mut macht Rode auch eine Briefaktion, im Rahmen derer allein in diesem Jahr rund 9.000 Briefe aus Deutschland an Christen in Gefängnissen weitergeleitet werden konnten. Die Arbeit von Open Doors sei nur durch die vielen Menschen machbar, die sie unterstützten, sagt er.
„Unsere Leute werden sterben“
Besonders bewegt habe ihn die Geschichte von einem Dschihadisten, der nach eigener Aussage vorgehabt habe, Christen umzubringen und zu einer Bibel griff, um seinen Hass zu verstärken. „Dadurch ist er aber Christ geworden“, sagt Rode. Überhaupt kämen immer mehr Muslime zum christlichen Glauben, je weiter sich die Terrororganisation Islamischer Staat ausbreite. Eine Herausforderung sei es, die immer mehr werdenden Menschen dort mit den Netzwerken vor Ort zu verbinden. In vielen Untergrundbibelschulen würden deshalb vermehrt Leiter und Pastoren für Hausgemeinden ausgebildet.
Etwas sorgenvoll blickt Rode einer vor Kurzem angelaufenen Nothilfe-Kampagne für die Christen im Irak und in Syrien entgegen. Da die UN und große Hilfsorganisationen sich aus finanziellen Gründen immer weiter von dort zurückzögen, hätten sich die kirchlichen Netzwerke vor Ort mit „Notrufen“ an Open Doors gewandt. „Ein Pastor sagte uns: ‚Wenn ihr euch auch noch zurückzieht, werden unsere Leute sterben‘“, sagt Rode. Das Projekt erfordere in den kommenden anderthalb Jahren etwa zehn Millionen Euro extra. Rode weiß noch nicht genau, wie das Geld zusammenkommen wird. Aber er weiß, dass „wir die Christen dort nicht alleine lassen dürfen“.
Und er ist überzeugt, mit Gottes Hilfe mehr schaffen zu können, als es aus menschlicher Sicht möglich zu sein scheint – wie eine Perlenkette von Wundern eben. Oder, um es mit den Worten von Bruder Andrew zu sagen, die einmal auf dessen Grabstein stehen sollen: „He did, what he couldn‘t.“ (Er tat, was er nicht konnte.) (pro)
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