Die Aktionskünstler des Zentrums für Politische Schönheit bestatten dieser Tage im Mittelmeer umgekommene Flüchtlinge mitten in Berlin. Den Bundesinnenminister bezeichnen sie als deren Mörder. Das provoziert, ändert aber rein gar nichts. Ein Kommentar von Anna Lutz
Refugees welcome: Für viele Deutsche ist das Leid der Flüchtlinge gegenwärtig
Mit der Aktion „Die Toten kommen“ will das Zentrum für Politische Schönheit den „Alptraum der deutschen Bundesregierung“ wahr machen: Am Dienstag ließ es eine Syrerin auf dem Friedhof Berlin-Gatow bestatten. Sie soll beim Versuch der Überfahrt nach Europa ums Leben gekommen sein. „Es geht um die Sprengung der Abschottung des europäischen Mitgefühls“, begründen die Künstler ihre Aktion. Mit Einverständnis der Angehörigen hätten sie menschenunwürdige Grabstätten geöffnet, Tote exhumiert und nach Deutschland transportiert. Das Ganze haben sie per Crowdfunding finanziert. Am Sonntag wollen sie gemeinsam mit Demonstranten vors Kanzleramt marschieren. Auch bei dem Marsch wollen sie Tote mitführen.
Das ist möglicherweise illegal und auf jeden Fall höchst umstritten. Beides sind Stilmittel der Aktivisten. Bereits zum 25. Jahrestag des Mauerfalls machten sie von sich reden, indem sie Gedenkkreuze aus dem Berliner Regierungsviertel entwendeten und Kopien an Grenzzäunen der EU anbrachten. Auch dieses Mal ist das Ziel der Aktion dasselbe: „Der europäische Mauerfall“, wie Mitglied Justus Lenz gegenüber Spiegel Online erklärte. Die Idee dahinter: Von den Tausenden Toten im Mittelmeer erfahren Deutsche aus den Nachrichten. Der Tod hat seinen Weg noch nicht bis in die Mitte Europas gefunden. Erfassbar wird er erst vor der eigenen Haustür.
Die Totenruhe ist bereits gestört
Wer glaubt, dass die Künstler sich schuldig machen, indem sie die Totenruhe stören, liegt falsch. An den EU-Außengrenzen werden Leichen an Strände gespült und verwesen in der Sonne. Menschenwürdige Bestattungen sind kaum möglich, in den Medien ist von Massengräbern und Leichenaufbewahrungen in Müllsäcken die Rede. Das ist schrecklich, jene wenigen, die nun hier würdevoll begraben werden, haben es noch im Tod besser als die Tausenden, die zurückbleiben.
Das Problem der Aktion liegt anderenorts: Es stimmt, das Sterben findet im Meer statt. Aber das Entsetzen darüber ist sehr wohl in der Mitte der Gesellschaft angekommen. An Empathie mit Geflohenen aus Afrika und anderen Teilen der Welt mangelt es den Deutschen derzeit kaum. Das Thema Flüchtlingspolitik ist allgegenwärtig. Es bilden sich Initiativen aus der Mitte des Volkes, die hier Angekommenen Privatunterkünfte zur Verfügung stellen, um deren Lage zu verbessern. Noch nie gab es in der Bundesrepublik derart viele Flüchtlingswohnheime. Noch nie derart viele Hilfsprojekte. Noch nie derart viel Mitgefühl mit jenen, die ihre Heimat verlassen mussten. Bischöfe öffnen ihre Häuser, Kirchen gewähren halbillegales Asyl. Die Deutschen helfen. Für die Mehrheit der Bevölkerung muss niemand die Toten nach Berlin bringen. Sie sind schon lange da. In den Köpfen und den Herzen.
Scharfer Angriff auf Innenminister
Trotzdem kann man freilich unzufrieden mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sein. Die Frage ist nur: Wie sinnvoll ist eine zugegebenermaßen öffentlichkeitswirksame Protestaktion, wenn sie nicht darauf zielt, die Aufmerksamkeit der Bürger zu gewinnen, sondern die politischen Verantwortungsträger von einer neuen Richtung zu überzeugen?
In einem Video bezeichnet das Zentrum für Politische Schönheit Innenminister Thomas de Maizière als „bürokratischen Mörder“. Selbst wer einbezieht, dass es sich hier um eine Form von Kunst handelt, die bewusst überspitzt, kann das nicht gutheißen. Das Bild des Politikers als eiskalter Täter, der nur den eigenen Machterhalt im Sinn hat und sich nicht um die Sterbenden um sich herum schert – es gehört eher in ein Buch von John Grisham. Der Realität wird das nicht gerecht. Im Gegenteil. Es ist ebenso unfair wie der einstmalige Ausruf der politischen Linken, Soldaten seien Mörder. Wer so argumentiert, nur um der Provokation willen, wird von der Politik zu Recht nicht ernstgenommen.
Kann das echt sein?
Überdies ist fraglich, ob die ganze Aktion tatsächlich ist, was sie vorgibt zu sein. Denn wer die Äußerungen der Aktionskünstler aufmerksam verfolgt, kann berechtigte Zweifel daran bekommen, ob es sich hier wirklich um Leichen handelt, die durch halb Europa gekarrt und anschließend beigesetzt werden. Mal ist von zehn Toten die Rede, mal von Hunderten. Auf ihrer Webseite erklärt das Zentrum für Politische Schönheit, es habe vor der Überführung eine Erlaubnis der Angehörigen eingeholt. Dabei sind viele der Ertrunkenen doch nicht einmal identifiziert. Und selbst wenn, wäre das Auffinden von Angehörigen ein Kunststück, um das sie nicht nur die Investigativredaktion des Spiegel beneiden würde.
Sollte es sich hier dennoch um echte Tote handeln, müsste man darüber streiten, ob die Aktion nicht eine Instrumentalisierung der Verstorbenen für politische Zwecke ist. Das kritisiert unter anderem der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne), wenn er das Ganze „befremdlich und pietätlos“ nennt. Sollte die Aktion aber eine groß aufgebauschte künstlerische Täuschung sein – dann kann man ihr lediglich vorwerfen, dass sie ins Leere läuft. Weil die Öffentlichkeit nicht mehr schockiert werden muss. Und Politik sich nicht durch derartige Provokation ändern lässt. (pro)
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