Der Journalist Christian Deker hat undercover bei „Schwulenheilern“ ermittelt. Auf dem Kirchentag erntet er für seine Kritik an den Evangelikalen viel Zuspruch. Ein Besuch im „Zentrum Regenbogen“.
Von PRO
Foto: pro/Schäfer
Das Kreuz im Zeichen des Regenbogens – oder umgekehrt?
80 Menschen haben sich im Gemeindesaal des Evangelischen Gemeindezentrums Wangen zur morgendlichen Bibelarbeit versammelt. Hier, im „Zentrum Regenbogen“ (der Name spielt auf die Flagge der Homosexuellen-Bewegung an) des Kirchentages, ist einfach alles Regenbogen. Regenbogenfahnen hängen unter den bunten Kirchenfenstern, Regenbogenfahnen hängen unter der Empore. Sogar die Bühne, auf der neben der Kanzel stylische tiefe Sessel in Schwarz stehen, ist in regenbogenfarbenes Licht getaucht. Der Kirchenchor, der die Bibelarbeit musikalisch umrahmt, trägt dagegen einheitlich Schwarz. Irgendwie entsteht der Eindruck, als wollten Sänger einen Kontrapunkt zu der zu erwartenden Buntheit und Vielfalt der Veranstaltung setzen, der dann aber ausbleibt.
Die Bibelarbeit an diesem Morgen hält der freie Theologe Wolfgang Bruske. Die Auslegung der Bibelstelle, die an diesem Fronleichnamsmorgen Grundlage aller Bibelarbeiten auf dem 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart ist, wird von Burske engagiert ausgelegt. Eine nüchterne, fast pietistische Textbetrachtung. Bruske war Pastor einer methodistischen Kirche. Weil er schwul ist, musste er gehen. Irritierend an der Bibelarbeit ist, dass vor dem Gemeindesaal mehr Leben ist als drinnen, sonst ist alles gut. „Das Geld ist für Jesus oft viel gefährlicher gewesen als die Sexualität“, sagt Bruske. „Existenznot ist seelemordend“, ergänzt er und belässt es bei einer einzigen Andeutung, dass das Ausscheiden aus der methodistischen Kirche ihm persönlich Not bereitet hat.
Homo-Therapie ist „pseudowissenschaftliches Gedöns“
Zur anschließenden Podiumsdiskussion füllt sich der Saal mit jungen und alten Zuhörern. Kein Platz ist mehr frei. Es geht um die Veränderbarkeit von Homosexualität. Besser gesagt um Christen, die sagen und denken, Homosexualität müsse doch veränderbar sein. Irgendwie. Auf dem Podium haben Günter Baum, Gründer von Zwischenraum, Christian Deker, Journalist aus Hamburg, und die Psychologin Pia Voss-Höge Platz genommen.
„Je fundamentalistischer, desto größer ist die Gefahr, dass man sagt: ,Da kann man was machen‘“, erklärt Pia Voss-Höge. Es existierten keine wissenschaftlichen Nachweise über die Wirksamkeit von Konversionstherapien, sagt sie. Es gebe jedoch noch Wissenschaftler, die davon ausgingen, dass Homosexualität therapiert werden könne. Voss-Höge hält das für „pseudowissenschaftliches Gedöns“. Bei vielen Organisationen werde nicht mehr ehrlich von Konversionstherapien gesprochen, sondern es werde verschleiert, dass hinter einem „wilden Mix aus Bibellesen, Beten und Wertevermittlung“ die Absicht der Konversion stecke.
Christian Deker arbeitet als Journalist unter anderem für das Nachrichten- und Enthüllungsmagazin „Panorama“ des NDR. In seiner Reportage „Die Schwulenheiler“ berichtet er von seinem Selbstversuch. Deker ist homosexuell und hatte sich inkognito zu einem Arzt begeben, von dem er gehört hatte, dass er als vermeintlicher Christ und Mediziner Konversionstherapien für Homosexuelle anbietet. Dekers Bericht und einige Sequenzen seiner Fernsehreportage, krude Szenen, das ist nicht zu leugnen, goutiert das Publikum mit anhaltendem Applaus – und mit Betroffenheit. Deker ist nicht alleine mit seinen Erfahrungen, das wird auch in der anschließenden Diskussion klar. Hier haben Viele Verletzungen und Anfeindung erfahren.
Deker sagt: „Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben so zu gestalten, wie er das für richtig hält.“
In einem Vortrag schildert Günter Baum, wie er von einem jugendlichen Bekehrungserlebnis, dem Bewusstwerden seiner Homosexualität und dem jahrelangen Versuch, seine Orientierung zu ändern, zum gläubigen Schwulen wurde. „Was mein Leben bestimmt, ist, dass ich homosexuell und Christ bin“, sagt Baum. Er gründete die Organisation „Wüstenstrom“ mit der Absicht, anderen Homosexuellen ebenfalls eine Möglichkeit zu öffnen, mit der eigenen Sexualität umzugehen und Seelsorge anzubieten. Mittlerweile hat er sich von der Gruppe distanziert.
Kritik am evangelikalen „Christustag“
„Ich konnte nicht die ideale evangelikale Lebensgestaltung umsetzen“, sagt Baum, daher sei bei ihm „mit der Zeit ein Grundgefühl von Angst entstanden“. Sein einstiger Wunsch, sich von der Homosexualität abzuwenden, sei „das evangelikale Jüngerschaftsprogramm“ schlechthin gewesen. „Evangelikal zu sein“ sollte nach Baums Meinung klar unterschieden werden von Formen des Glaubens, „die radikal“ seien. „Die politischen Entscheidungsträger der evangelikalen Welt sind entweder blind, oder taub, oder beides“, sagt er.
Die theologische Auseinandersetzung mit Evangelikalen gleicht seiner Einschätzung nach einem „Bibelstellen-Pingpong“. Outing bedeute, dass „man alles verliert, wenn man sich in einer evangelikalen Gemeinde zu seiner Homosexualität bekennt“. Beim Christustag in Stuttgart sammelten sich „Wertkonservative“, die nach wie vor Probleme mit Homophobie hätten. Psychologin Voss-Höge sieht Angst vor „Aids, Krankheiten, keine Enkel zu haben“ bei vielen evangelikalen Gruppen als den Grund für Homophobie. (pro)
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