Aiman Mazyek gilt als das Gesicht des Islams in Deutschland. Doch er steht in der Kritik. Während er die Muslime hierzulande gegen Vorurteile verteidigt, greifen die eigenen Leute ihn scharf an. Von Anna Lutz
Von PRO
Foto: pro
Aiman Mazyek hat pro ein Interview gegeben, aber den Abdruck im Wortlaut untersagt
Aiman Mazyek steht unter Druck, und das merkt man. Als pro sich Anfang März mit ihm zum Interview in Berlin trifft, ist der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) zwar fröhlich, aber auch gestresst. Mazyek hastet derzeit von einem Termin zum anderen, demonstriert mit Staatsoberhäuptern gegen Antisemitismus und für Pressefreiheit, führt Gespräche mit Ministern und den interreligiösen Dialog mit den Kirchen. Trotzdem nimmt er sich eine Stunde Gesprächszeit mit einem Magazin aus dem evangelikalen Spektrum. Eigentlich soll das wohl ein positives Signal in Richtung der frommen Christen sein, mehrmals ist der Dialog zwischen Evangelikalen und Muslimen Thema der Unterhaltung. Doch was freundlich beginnt, wird unerfreulich enden.
Wer mit Mazyek spricht, versteht rasch, warum er sich in den Medien so schnell einen Namen machen konnte. Er ist eloquent, schlagfertig und zugleich ehrlich – eine Kombination, die sich so heute selten im politischen Berlin findet. Und ob Mazyek das will oder nicht: Die politische Sphäre ist in einem Deutschland, das tagein, tagaus darüber diskutiert, ob der Islam nun zu ihm gehört oder nicht, ganz natürlich auch zu seiner Bühne geworden. Auf dieser Bühne wiederum bewegt er sich mit einer seltsamen Mischung aus Sicherheit und Impulsivität. Er spricht sich für ein Miteinander von Christen und Muslimen aus. Er erklärt, dass der Islam nichts mit dem Terror zu tun habe; ein Satz, der ihm immer wieder vorgehalten wird, der in seiner Lesart aber überzeugend wirkt. Denn Mazyek will damit nicht sagen, dass es keine Terroristen im islamischen Kontext gibt. Vielmehr drückt er aus, dass islamische Lehre, wie er sie versteht, keinen Raum für solcherlei Gewalt bietet. Er meint: So, wie Jesus die Kreuzzüge nicht befohlen hat, liegt der Terror nicht im eigentlichen Wesen des Islams, auch wenn einzelne Muslime radikal werden.
Mazyek ist in den vergangenen Monaten oft missverstanden worden, unter anderem mit diesem Statement. Entsprechend dünnhäutig zeigt er sich dann im Gepräch mit pro. Nun ist Streitlust nicht die schlechteste Eigenschaft eines Interviewpartners. Mazyek sagt gute und starke Sätze im Gespräch, etwa zu seiner Rolle in der Öffentlichkeit, zum Dialog mit Evangelikalen und zu theologisch-politischen Themen, wie der Haltung islamischer Verbände zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Sätze, die an dieser Stelle hätten zitiert werden sollen. Doch er wird seine Worte nicht zum Druck freigeben. Als Grund dafür gibt er zunächst an, die Fragen seien im Nachhinein verfälscht worden. Auf eine überarbeitete Version und den Vorschlag, ihm die Audio-Aufzeichnung mit den Fragen zum Nachhören vorzulegen, geht er nicht ein. Am Ende werden sich Mazyek und pro nicht einig. Unmittelbar vor Redaktionsschluss und drei Wochen nach dem Interviewtermin sagt er endgültig aus zeitlichen Gründen ab. Er entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten, was wir ausdrücklich annehmen. Dennoch ist es das erste Mal in der Geschichte dieser Zeitschrift, dass ein komplettes Interview nicht erscheinen darf – und das noch nicht einmal wegen der Antworten des Protagonisten, sondern wegen der Fragen der Redakteurin.
Behutsamer Umgang gefordert
Wer sich nun fragt, wie es dazu kommen konnte, muss sich vor Augen führen, wie sehr Mazyek derzeit bedrängt wird. Nach den Anschlägen von Paris im Januar demonstrierte er am Brandenburger Tor mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck für eine offene Gesellschaft. Medienberichten zufolge warfen ihm Kritiker aus den anderen Islamverbänden daraufhin vor, er stilisiere sich zum „selbst-ernannten Ober-Moslem“.
Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte des größten deutschen Islamverbandes Ditib, beschwerte sich laut der Süddeutschen Zeitung über Mazyeks politische Alleingänge: „Wir standen als diejenigen da, deren Haltung zu Terror, jüdischen Opfern und Meinungsfreiheit zweifelhaft ist“, sagte er über die Demo am Brandenburger Tor, und weiter: „Dabei hatten wir uns genauso klar von den Taten distanziert wie der ZMD.“ Mazyek konterte öffentlich und forderte die Verbände zu „mehr Behutsamkeit und Sachlichkeit im Umgang miteinander“ auf, dies gehöre schließlich auch zu einer vorbildlichen islamischen Verhaltensweise.
Dabei ist der Vorwurf der Ditib nicht ganz unbegründet: Der Koordinationsrat der Muslime umfasst vier verschiedene Organisationen. Mazyeks Zentralrat ist mit 24 Mitgliedsorganisationen der kleinste von ihnen. Die Ditib ist die größte Gruppe im Koordinationsrat und bringt 950 Moscheegemeinden zusammen. Wer aber kennt zum Beispiel Nevzat Yaşar Aşikoğlu? Das ist der Vorsitzende der Ditib. In der Öffentlichkeit ist er so gut wie nicht sichtbar. Mazyek aber ist es. Es musste also irgendwann zum Deutungsstreit kommen.
Dass Mazyek zunehmend als Stimme der deutschen Muslime wahrgenommen wird, ist sicher nicht allein ihm anzurechnen. Wie so oft bedingen sich Medien und Politik. Weil Mazyek schnell und kompetent reagiert, wird er angefragt. Dem Islam in Deutschland ist das zunächst ein Gewinn. Denn Mazyek zählt zu jenen Muslimen, die immer und unermüdlich zu Frieden und Miteinander aufrufen. Ob er damit auch die rund 6.000 Salafisten in Deutschland erreicht, vermag niemand zu sagen. Zumindest aber wird er öffentlich gehört. Dass er nun wegen seines überdurchschnittlichen Engagements unter Druck gerät, kann man folglich auch bedauern. Doch wenn alles gut läuft, führt diese Entwicklung vielleicht zu einer Reifung im islamischen Spektrum. Verbände wie die Ditib oder der Islamrat, die sich bisher als wenig medienwirksam gezeigt haben, sehen sich nun stärker herausgefordert, das Gesicht des Islams in Deutschland mitzuprägen. Das wäre vor allen Dingen ehrlicher. Denn der deutsche Islam ist nicht der des Zentralrats. Es ist der aller Verbände – und der tausenden Muslime, die sich nicht durch selbige vertreten sehen. Laut der Studie des Innenministeriums „Muslimisches Leben in Deutschland“ gehören zwar über 20 Prozent der Muslime Moscheegemeinden an – aber 36 Prozent bezeichnen sich als sehr gläubig. Wer für jene Frommen, die nicht organisiert sind, sprechen kann, ist und bleibt eine offene Frage, die der institutionalisierte Islam versuchen muss, zu beantworten. Und zwar erst recht in Zeiten, in denen die Zahl junger Deutscher wächst, die in den gewaltsamen Dschihad ziehen. Aiman Mazyek haben wir diese Frage übrigens gestellt und er hat geantwortet. Nur drucken dürfen wir seine Worte nicht. (pro)
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