Ein Meer von Schmetterlingen bedeckt einen ganzen Wald in Mexiko. Kein Blatt ist mehr zu sehen, überall nur das leuchtende Orange von Millionen von Monarchfaltern. Jedes Jahr fliegen sie eine Strecke von 4.000 Kilometern von Nordamerika nach Mexiko, um dort zu überwintern. Der Dokumentarfilm „Metamorphose“ aus dem Jahr 2012 berichtet in faszinierenden Bildern von den Schmetterlingen, die den Biologen Rätsel aufgeben – und den Laien staunen lassen. Keiner der Monarchfalter ist die Strecke jemals zuvor geflogen, und doch findet jede Generation jedes Jahr wieder den Weg zu genau jenem Berghang in genau jenem Wald, den ihre Vorfahren vor Urzeiten für das Winterquartier auserkoren haben. Schmetterlinge bieten noch mehr Verwunderliches. Jede einzelne der 20.000 Arten hat ein anderes Farbmuster, und jede hat anders geformte Flügel. „Selbst wenn ich der größte Künstler der Welt wäre, könnte ich mir nicht all diese Muster ausdenken“, bekennt ein Biologe sein Erstaunen über diese Wesen. Noch faszinierender wird es, wenn man sich die Verwandlung einer Raupe zum Schmetterling ansieht: Es gibt zwei verschiedene Baupläne für zwei Arten von Lebewesen, und doch entsteht das eine aus dem anderen. Vergleichbar ist dies mit einem Auto, das sich zunächst selbst eine Garage baut und sich darin in ein Flugzeug verwandelt.
Wieso bringt die Natur solche komplexen und oftmals wunderschön anzusehenden Dinge hervor?
Was ist Schönheit überhaupt? Für einen Biologen ist Schönheit schwer zu fassen, da sie eine menschliche geistige Dimension beschreibt. Siegfried Scherer, Professor am Lehrstuhl für Mikrobielle Ökologie an der Technischen Universität München, mag sich naturwissenschaftlich nicht an das Thema heranwagen. Er sagt zu pro: „Geistige Phänomene können durch naturwissenschaftliche – und damit auch durch evolutionsbiologische – Methoden grundsätzlich nicht erfasst werden, schon gar nicht deren vermutete Evolution.“ Das betreffe nicht nur das Empfinden von Ästhetik, also der Frage, ob etwas als schön oder hässlich wahrgenommen wird. Sondern das betreffe auch Ethik (gut/böse) und Mystik (etwa religiöse Erfahrung).
Schönheit ist objektiv schwer zu fassen. Es gibt keine festen Regeln. „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“, sagt der Volksmund. Aber immerhin gibt es Hinweise. Symmetrie oder den Goldenen Schnitt etwa. Hat Schönheit auch etwas mit Moral zu tun? Mit „dem Guten“? In der Literatur gibt es fast immer einen Zusammenhang: das Schöne ist meistens gut, das Hässliche meistens böse. Und umgekehrt. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“, schrieb Goethe, der auch Naturwissenschaftler war und dem Schönen hinterherjagte. Ist das ultimative Schöne also vielleicht zugleich das ultimative Gute? Und das ultimative Böse zugleich das Hässlichste? Umberto Eco schrieb in seiner „Geschichte der Schönheit“, dass wir dann von Schönheit sprechen, „wenn wir etwas als das genießen, was es ist, unabhängig davon, ob wir es besitzen“.
Vielleicht ist Schönheit also ein Geschenk von demjenigen, der sie geschaffen hat? Scherer, der 2013 zusammen mit Reinhard Junker das Buch „Evolution. Ein kritisches Lehrbuch“ herausbrachte, kann bei aller Ambivalenz in der Biologie auch Sinn in der Schönheit finden: „Für mich, der ich daran glaube, dass ein Schöpfer hinter den Lebewesen steht, ist es ein sehr befriedigender Gedanke, dass die Lebewesen bei all ihrer ausgefeilten, biologischen Funktionalität auch die Aufgabe haben, uns Menschen mit ihrer Schönheit zu erfreuen und uns damit auf den Schöpfer hinzuweisen.“
Schönheit ist nicht immer erfolgreicher
Evolutionär betrachtet ist überbordende Schönheit ein Luxus, ja oft sogar ein Hindernis. Charles Darwin wurmte es sehr, dass seine Evolutionstheorie den Zweck von Schönheit nicht wirklich erklären konnte. Ein Jahr nach seinem berühmten Werk „Über die Entstehung der Arten“ schrieb er: „Wenn ich die Federn im Schwanz eines Pfaus sehe, wird mir übel.“ Elf Jahre später präsentierte Darwin seinen Lösungsansatz für das Problem. Er nannte es die Theorie der sexuellen Auslese, und ihr zufolge wählt das Weibchen im Tierreich stets jenen männlichen Vertreter für die Paarung aus, welcher den schönsten Schmuck zur Schau trägt. Beim Pfau wären das seine prächtigen Federn. Er kann in diesem Kleid zwar kaum mehr fliegen, hat aber offenbar größere Chancen bei den Weibchen.
Diese Theorie hat es bis heute nicht leicht. Die sonst so für die Evolution typische Kosten-Nutzen-Rechnung scheint hier zu wackeln. Viel Schönheit erfordert höhere Komplexität und mehr Ressourcen. In ihrem evolutionskritischen Lehrbuch gehen Scherer und Junker auch auf das Problem ein und stellen fest: „Die Natur scheint weitaus schöner zu sein, als es das Überleben erfordert.“ Als Beispiel bringen auch sie Schmetterlinge und erklären zu Tagpfauenauge, Distelfalter, Admiral und Kleinem Fuchs: „Die meisten Schmetterlinge sind weit weniger farbenprächtig und weisen viel einfachere Flügelmusterungen auf – existieren aber oft in größerer Zahl!“
Für den Biologen Scherer steht es außer Zweifel, dass der Schwanz des Pfaus und die Verhaltensweisen von Tieren (und auch von Menschen) eine Funktion bei der Partnerwahl haben. Doch der Schluss, damit die evolutionsbiologische Erklärung für ihre Entstehung gefunden zu haben, ist für ihn voreilig. Die Herausforderung bestehe nach wie vor darin, die vermutete evolutive Entstehung auf einer genetischen Ebene zu erklären. Das sei bisher bei der Entstehung komplexer Strukturen generell nicht gelungen, auch nicht beim Pfauenschwanz. „Das heißt allerdings nicht, dass man eine solche Erklärung in der Zukunft niemals finden wird – das kann keiner mit Sicherheit sagen“, stellt Scherer klar.
Auch Atheisten loben die Wunder der Natur
Die Natur ist durchtränkt von Schönheit, wir finden sie im Weltall, in den Naturgesetzen, in der Mathematik, manchmal sogar dort, wo fast nie ein Mensch hinschaut, etwa in der Tiefsee. Gerade dort, wo Menschen erst seit kurzem mittels aufwändiger technischer Hilfsmittel hinkommen, gibt es ungezählte bizarre Lebensformen, die aussehen, als habe sie ein Künstler unter Drogeneinfluss erschaffen. „Vielleicht ist diese Ästhetik ja gar nicht nur für den Menschen gedacht?“, gibt Scherer zu bedenken. „Vielleicht hat Gott auch selber Freude an seinen Werken?“
In der Bibel steht Gottes Schöpfung immer im Zusammenhang mit dem Lob des Schöpfers. „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk“, heißt es in Psalm 19. Paulus geht sogar so weit zu sagen, dass die Schöpfung in direktem Zusammenhang mit unserer Schuld vor Gott und seinem Gericht steht: „Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen […] Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, sodass sie keine Entschuldigung haben.“ (Römer 1,18 ff) Diese Gotteserkenntnis gehe über naturwissenschaftliche Analyse weit hinaus, es handele sich um ein existentielles, jedem Menschen geschenktes Erkennen, ist Scherer überzeugt. „Ich kenne keinen Biologen, der von der Natur nicht fasziniert und begeistert ist. Auch Atheisten empfinden das. Nicht selten fassen sie das in Worte und schwärmen geradezu von den ‚Wundern der Natur‘.“
Vielleicht ist die Schönheit in der Natur vor allem als Hinweis auf Gott als das ultimative Schöne und Gute zu verstehen. Wie es im Psalm 8 heißt: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast […] Du hast (den Menschen) zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht. Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“ (pro)