Es gibt Streit um das Kirchenasyl. Innenminister de Maizière kritisierte, es unterwandere geltendes Recht. Die Kirchenasyl-Bewegung sagt jedoch, sie setze sich für das Recht der Asylbewerber ein. Doch was ist Kirchenasyl überhaupt?
Asylsuchende können bei Kirchengemeinden Unterschlupf finden, wenn sie abgeschoben werden sollen. Dass es immer mehr Fälle von Kirchenasyl gibt, stößt auch auf Kritik
Über 300 Menschen aus anderen Ländern haben derzeit in deutschen Kirchengemeinden Asyl gefunden. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat dies deutlich kritisiert. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er, die Kirchen könnten sich nicht einfach über rechtskräftige Entscheidungen des Staates hinwegsetzen. Dass systematisch verhindert würde, Asylsuchende in andere europäische Länder zu überstellen, sei ein Missbrauch des Kirchenasyls. Er verglich die Praxis damit, dass auch die muslimischen Gesetze der Scharia nicht über deutschem Recht stehen dürften. Für diese Äußerungen wurde de Maizière von verschiedenen Seiten kritisiert. Die Kirchenasyl-Bewegung betont, dass sie Asylsuchenden zu ihrem Recht verhelfen möchte. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau (EKHN), sagte dem Deutschlandfunk, Kirchenasyl sei ein „gutes Instrument im Rechtsstaat“.
Doch was genau bedeutet Kirchenasyl? Und warum gibt es Kritik daran? pro hat die wichtigsten Punkte dazu zusammengestellt.
Was ist Kirchenasyl?
Kirchenasyl bedeutet, dass eine Kirchengemeinde in ihren Räumen für eine begrenzte Zeit Asylsuchende beherbergt, die abgeschoben werden sollen und sich nicht mehr in Deutschland aufhalten dürfen. Es soll in Einzelfällen eine Notlösung sein, wenn den Betroffenen durch die Abschiebung Gefahr droht – beispielsweise durch Folter, Tod oder menschenunwürdige Bedingungen. In der Zeit des Kirchenasyls gibt es Gespräche zwischen der Gemeinde, Anwälten und Behörden, um den Einzelfall noch einmal genau anzuschauen und zu prüfen, welche Möglichkeiten es im Rahmen der bestehenden Gesteze gibt, den Hilfesuchenden doch nicht abzuschieben.
Ist Kirchenasyl ein kirchliches Recht?
Nein, für die Kirchen gelten hier keine besonderen Rechte. Das fordern sie auch nicht. Aber die Behörden respektieren das Hausrecht der Kirchen und holen niemanden aus dem Kirchenasyl ab. In der Regel sind die Behörden über die Asylfälle informiert.
Seit wann gibt es Kirchenasyl?
Die Idee, dass Schutzsuchende an heiligen Stätten vor dem Zugriff des Staates oder ihrer Verfolger sicher sind, gibt es schon in der Antike. Das Alte Testament berichtet beispielsweise davon, dass Davids Sohn Adonia vor seinem Bruder Salomo floh und sich an den Hörnern des Altars festhielt, damit Salomo ihn nicht tötete (1. Könige 1,50-51). Ähnlich tat es auch Davids Heerführer Joab (1. Könige 2,28). In der Alten Kirche traten Bischöfe für Schutzsuchende als Mittler zwischen ihnen und der Staatsgewalt ein. Das erste Kirchenasyl in der Bundesrepublik gewährte eine Berliner Gemeinde 1983, als drei libanesische Palästinenserfamilien in ihr Land zurückkehren sollten, wo Bürgerkrieg herrschte.
Wer entscheidet über Kirchenasyl?
Wenn jemand Kirchenasyl wünscht, kann sich die Person informell an eine Gemeinde wenden. Der Gemeindekirchenrat entscheidet dann, ob die Gemeinde die Person in ihre Räume aufnehmen, für eine bestimmte Zeit versorgen und begleiten möchte und kann. Meist fällt diese Entscheidung auch in Rücksprache mit dem Anwalt des Betroffenen. Denn es ist wichtig zu klären, ob es überhaupt eine Perspektive gibt, den Aufenthalt in Deutschland zu verlängern, gegebenenfalls ein neues aufentahltsrechtliches Verfahren zu bemühen und den Fall nochmals zu prüfen.
Wieviele Kirchenasylfälle gibt es in Deutschland?
Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) ging Anfang Januar von 200 Fällen mit insgesamt mindestens 359 Personen aus. Davon sind etwa 109 noch Kinder. Zum Vergleich: Im Januar vergangenen Jahres lebten 62 Menschen im Asyl bei Kirchengemeinden. 169 Kirchenasyle sind derzeit sogenannte Dublin-Fälle. In denen sollen die Asylsuchenden entsprechend der europäischen Gesetze und der Dublin-III-Verordnung in das Land überstellt werden, in dem sie zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben, was häufig südeuropäische Länder wie Italien und Spanien sind. Wenn die Betreuung im Asylsystem dieser Länder aber nicht ausreichend gegeben ist, drohen den Asylsuchenden möglicherweise schwierige Lebensbedingungen mit Armut und Obdachlosigkeit. Dann macht sich das Kirchenasyl gegen eine Abschiebung stark. Betroffene können sich auch an Härtefallkommissionen der Bundesländer wenden.
Was nützt Kirchenasyl?
Nach Angaben der BAG führte das Kirchenasyl in 70 bis 85 Prozent der Fälle dazu, dass die Betroffenen in Deutschland bleiben durften. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bestätigt diese Angaben nicht, da es keine Statistik über Kirchenasyl führt.
Warum gibt es Kritik am Kirchenasyl?
Angesichts der steigenden Zahlen hat Innenminister Thomas de Maizière gesagt, Kirchenasyl werde teilweise missbraucht, um eine Überstellung von Asylsuchenden nach den Dublin-Verordnungen systematisch zu verhindern. Im Deutschlandfunk sagte er: „Wir haben staatliche Regeln über Aufenthalt und Aufenthaltsbeendigung, und wenn eine rechtskräftige Entscheidung für eine Aufenthaltsbeendigung vorliegt, die durch Gerichte und alles mögliche bestätigt ist, dann hat keiner das Recht – auch nicht die Kirche – zu sagen: ‚Ich sehe das aber mal anders.‘“ Er habe als Christ zwar Verständnis dafür, als Minister aber nicht. Es könne auch einmal „Gnade vor Recht“ ergehen, solange es sich um Einzelfälle handele. Aber Hunderte Fälle – „das geht zu weit“.
Ähnlich äußerte sich auch der Präsident des BAMF, Manfred Schmidt, bereits im Oktober und warf der aktuellen Praxis des Kirchenasyls „generelle Systemkritik“ an der europäischen Flüchtlingspolitik vor. Er wolle Kirchenasyl nicht grundsätzlich in Frage stellen. Doch von Einzelfällen, wie es die eigentliche Idee des Kirchenasyls sei, könne keine Rede mehr sein.
Die Kirchenasyl-Bewegung sieht das anders. Die wachsende Anzahl von Kirchenasylen müsse im Verhältnis zu den ebenfalls stark gestiegenen Zahlen von Asylsuchenden gesehen werden. Bei etwa 200.000 im vergangenen Jahr sei die Zahl der rund 350 Kirchenasyle „nach wie vor sehr gering“, sagt Birgit Neufert von der BAG gegenüber pro. Sie betont, dass es nicht darum gehe, „Recht zu unterwandern, sondern Recht durchzusetzen“. Dass bei behördlichen Entscheidungen „Fehler passieren oder Entscheidungen vorschnell und willkürlich getroffen werden, ist eine Erfahrung, die Menschen hier in Deutschland seit Jahrzehnten machen“. Für EKHN-Präsident Jung ist die Entwicklung ein Indiz dafür, dass die Dublin-III-Verordnung „dringend überprüft werden“ müsse. Denn diese führe gerade zu solchen Härtefällen, derentwegen Menschen Kirchenasyl suchen. (pro)
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