In der ersten Januarwoche dieses Jahres berichteten Medien, dass die türkische Regierung erstmals seit Gründung der Republik im Jahr 1923 den Neubau einer christlichen Kirche genehmigt habe. Ein Hintergundbericht auf Domradio rückt nun die Angelegenheit in ein differenzierteres Licht und offenbart ein Leitmotiv türkischer Politik.
Darf in der Türkei eine neue christliche Kirche entstehen?
Noch zu Jahresbeginn hatten Medien in Deutschland unter Berufung auf türkische Regierungskreise und der türkischen Tageszeitung Hürriyet berichtet, der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu habe bei einem Treffen mit Religionsvertretern in Istanbul bekanntgegeben, dass auf dem Stadtgebiet von Istanbul eine Kirche der aramäisch-assyrischen Christen gebaut werden dürfe. Auch pro hatte die Medien-Berichterstattung dahingehend aufgegriffen. Ein Hintergrundbericht der Politikwissenschaftlerin Susanne Güsten, am Mittwoch veröffentlicht vom Domradio, zeichnet ein differenzierteres Bild der Botschaft, als bislang bekannt war. Demnach dürfte es „kein Zufall sein, dass sie in den ersten Tagen dieses Jahres verbreitet wurde, in dem die Welt der Massaker an den anatolischen Christen im Jahr 1915 gedenken wird“.
Bauplatz entpuppt sich als Friedhof
Güsten, die am „Istanbul Policy Center“ zur Lage der aramäischen und assyrischen Christen in der Türkei und Deutschland forscht, schreibt: „Bei genauerer Betrachtung illustriert der Fall aber vielmehr die anhaltende Misere des türkischen Umgangs mit ihren christlichen Minderheiten.“ Dem Bericht des Domradios zufolge ist die Genehmigung zum Neubau der Kirche bereits vor drei Jahren erteilt worden. Allerdings befinde sich der Kirchenbau immer noch in der Planungsphase, weil die türkischen Behörden den Bau durch Einsprüche behinderten. Der Bericht schildert ebenfalls, dass es sich bei dem Grundstück wohl keineswegs um eine städtische Liegenschaft handelt, sondern um einen ehemaligen Friedhof der römisch-katholischen Kirche, der nach der Enteignung durch den Staat im Jahr 1950 der Stadt zugesprochen worden war. Das Grundstück habe man dann der syrisch-orthodoxen Gemeinde für den Bau des Gotteshauses angeboten.
Motiv mit Geschichte
Güsten vertritt die Auffassung: „Staatliche Enteignungen sind für die christlichen Minderheiten in der Republik Türkei ein Leitmotiv.“ Die Geschichte der staatlichen Repressalien gegenüber Christen zieht sich demnach von einer Sondersteuer in den 40er Jahren bis hin zur Verstaatlichung von Ländereien eines Klosters in den 90er Jahren. Die syrisch-orthodoxen Christen werden dem Bericht zufolge vom türkischen Staat bislang nicht als Minorität anerkannt, weshalb sie auch keine gesonderten Minderheitenrechte genießen, wie der Staat diese etwa Armeniern, Griechen und Juden zubillige.
Die Autorin schreibt, dass der Ministerpräsident kein „konkretes Versprechen für den Kirchenbau“ gegeben habe, und beruft sich dabei auf die Tageszeitung Taraf, die sich ihrerseits auf Informationen aus dem Teilnehmerkreis des nicht-öffentlichen Treffens der Religionsführer mit dem Regierungschef bezieht. Die Zusage Davutoglus laute vielmehr, sich „darum zu kümmern“. (pro)
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