Wir haben Christine Schollmeier, langjährige Majorin der Heilsarmee auf St. Pauli in Hamburg, nach ihrer Meinung gefragt:
Von den Frommen wurde Jesus vorgeworfen, dass er sich als „Fresser und Säufer“ mit „Gesindel“ abgab. Er schaut bestimmt mit Freude auf die wachsende Gemeinde in Kanada, die an einem – zugegeben – ungewöhnlichen Ort Gottesdienst hält. Laut Zeitungsberichten sind anstößige Bilder zugedeckt; die Gemeinde macht keinen Hehl aus ihrer Ablehnung sexueller Ausbeutung. Aber die Pole-Tänzerinnen bekommen von den Gemeindemitgliedern nicht Schelte ausgeteilt, sondern Blumen.
Und sollte sich ein Kunde von Samstagabend in den Gottesdienst am Sonntagnachmittag verirren, wird er schon hören, dass Pornographie in allen Schattierungen vor Gott nicht recht ist – aber auch, wie man schlechte Gewohnheiten besiegen kann! Nicht die Gesunden, sondern die Kranken brauchen den Arzt, hat Jesus selbst gesagt; er hat nicht gekniffen, wenn es darum ging, da zu sein, wo es laut, dreckig oder nicht „fromm“ war.
Wir, als seine Nachfolger, sollen es ihm gleich tun und dahin gehen, wo die „Kranken“ sind. Die Innenstädte haben wir vielfach den Moscheen, den Hindutempeln und Esoterikläden überlassen, uns in grüne Vororte und schöne Dörfer zurückgezogen. Aber Gott ist überall da, wo eine Handvoll Menschen sich in seinem Namen sammelt, sei es bei einer Bibelstunde bei Starbucks, im Gottesdienst im Knast oder bei einer Gebetsrunde in einer Kneipe. Alle drei Varianten habe ich erlebt. Warum also nicht ein Gottesdienst im Stripclub?
Gottesdienste auf der Reeperbahn
Vor 150 Jahren, als William Booth die Heilsarmee gründete, hatte man kein Geld, um gleich Immobilien zu kaufen. Man mietete sich in alle möglichen und ein paar unmögliche Orte ein, schleppte Gesangbücher, Instrumente und Fahne jeden Sonntag in die Music Hall, die Tanzhalle oder das Theater. Manch einer, der sich nicht in die heiligen Hallen der großen Kirchen getraut hätte, besuchte aber schon einen Gottesdienst dort, wo er sich auskannte. Er begann, andere Texte zu singen. Er nahm den Tee, und nicht den Schnaps. Er änderte seine Gesinnung und wurde Christ. In der Kneipe.Ich wünsche der Gemeinde in Guelph von Herzen, dass sie genau das immer wieder erlebt: Menschen, die im Stripclub ihr Innerstes vor Gott offenlegen und Christen werden!
Diese Zeilen schreibe ich in meinem Büro; der Blick geht zu der Rückseite des benachbarten „Laufhauses“, des größten Bordells in Hamburg. Jahrzehntelang haben wir – habe ich – Gottesdienst auf der Reeperbahn vor diesem Haus gehalten. Jetzt gehen junge Frauen aus verschiedenen Gemeinden jede Woche mit der Heilsarmeeoffizierin in die Bordelle, um christliche Schriften und kleine Geschenke zu verteilen. Manchmal ergibt sich ein seelsorgerliches Gespräch, oft ist der Dienst mehr ein Brückenbauen von Frau zu Frau, damit Vertrauen, gegenseitiger Respekt entstehen kann. Ich hätte mir gewünscht, die Gemeinde in Rosenheim hätte die Möglichkeit erkannt, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sonst einen Bogen um die Kirche machen. (pro)