Der Film „Das Ende der Geduld“ über die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich 2010 das Leben nahm, soll der Juristin ein Denkmal setzen. Obgleich der Film das nicht schafft, überzeugt doch Hauptdarstellerin Martina Gedeck. Eine Filmkritik von Martina Schubert
Von PRO
Foto: BR/CWP-Film/Oliver Vaccaro
Geht keinem Konflikt aus dem Weg: Jugendrichterin Kleist (Martina Gedeck) in „Das Ende der Geduld“
Im Rahmen ihrer Themenwoche Toleranz zeigt die ARD am Mittwochabend den Film „Das Ende der Geduld“. Im Zentrum der fiktiven Geschichte steht die Jugendrichterin Corinna Kleist, gespielt von Martina Gedeck. Sie kämpft um einen Fall, der ihr sehr nahe geht. Dafür legt sie sich mit dem 21-jährigen Intensivtäter Nazir an. Nazir ist ein libanesischer Clan-Boss, der über die Drogengeschäfte in der Berliner Hasenheide herrscht. Für dessen kleinen Bruder Rafiq, der bald 14 und somit strafmündig wird, versucht Kleist, Verantwortung zu übernehmen – er war als Drogenkurier für Nazir unterwegs.
Der schmächtige Junge wird ihre Mission. Rafiq eine Chance zu geben, heißt für die Jugendrichterin, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Doch daraus entwickelt sich neues Unrecht. Corinna Kleist tritt eine Lawine ungekannter Gewalt los, die eine junge Liebe zerstört und ihre Vision bedroht.
Bekämpfung der Jugendkriminalität
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch „Das Ende der Geduld“ der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig. Sie führte das sogenannte „Neuköllner Modell“ ein und forderte eine offene Debatte um die Bekämpfung von Jugendkriminalität.
Das „Neuköllner Modell“ umfasst schneller umgesetze Strafmaßnahmen, um eine erzieherische Wirkung zu erzielen. Kirsten Heisig hatte sich mit ihrem Engagement für die Reform des Jugendstrafrechts deutschlandweit einen Namen gemacht. Ihre Reform hat einen tiefen idealistischen Kern: Das Jugendstrafrecht basiert auf dem Erziehungsgedanken. Die Strafe soll Wirkung zeigen bei dem Verurteilten, eine Erkenntnis in ihm reifen lassen.
Stefan Dähnerts Drehbuch stützt sich auf einzelne Fallgeschichten aus dem Buch und auf eigene Recherchen bei Zeitzeugen. Gedreht hat das Team an Originalschauplätzen in Berlin.
Gedecks Spiel trägt die Handlung
Schauspielerin Martina Gedeck füllt die Rolle der Jugendrichterin, die im Film Kleist heißt, voll aus. Gedecks Spiel trägt die Handlung. Überzeugend stellt sie eine Frau dar, die mit ihrer Entschiedenheit ihre Kollegen in der Justiz überfordert, die für ihre Ideale kämpft und an ihren Zielen festhält. Der Zuschauer sieht aber auch, wie Kleist sich nach beruflichen Rückschlägen wieder hochraffen muss und eben keine klassische Heldin ist. Am Ende verliert sie ihren Kampf und begeht Selbstmord.
Der Film lässt die Frage über den Grund ihres Freitodes „bewusst offen“, heißt es von Seiten der ARD. Dass die wahre Jugendrichterin an Depressionen litt, greift der Film nicht auf. Zu sehen ist eine Frau, die wiederholt zu Tabletten greift. Warum, das erklärt der Film nicht. So bleibt der Zuschauer mit genau dieser Frage zurück. Dieser dramaturgische Weg ist leider nicht gut gewählt.
Dass hinter dem Selbstmord sehr wahrscheinlich ihre Depression steckt, hätte im Drehbuch aufgegriffen werden müssen. Die BR-Programmbereichsleiterin für Spiel, Film und Serie, Bettina Ricklefs, und der Leiter NDR-Fernsehfilm, Christian Granderath, sagen, dass der Film „der Berliner Richterin ein beeindruckendes Denkmal [setzt]“. Dadurch, dass die Depressionen im Film nicht berücksichtigt werden, könnte der Eindruck entstehen, allein ihre Arbeit und zu hoch gesteckte Ziele hätten die Richterin in den Selbstmord getrieben.
Kritik am Streifen übt ein Weggefährte der echten Jugendrichterin Heisig, der Jugendrichter Andreas Müller, in der B.Z.: „Was mir darin am meisten fehlt, ist die Würdigung von Kirsten Heisigs Lebenswerk.“ Verschwörungstheorien, dass sie ermordert worden sei, widerlege der Film nicht richtig.
Die Richterin sagt in dem Film zudem zu einer arabischen Mutter: „Sie brauchen kein Geld, Sie brauchen einen Deutschkurs.“ Das hätte sich Kirsten Heisig nicht erlaubt, meint ihr ehemaliger Kollege. „Kirsten hatte immer Angst, in die ausländerfeindliche Ecke gedrängt zu werden.“
Ob der Film richtig gewählt ist für die Toleranz-Woche der ARD, ist fraglich. Er hält mit Klischees von Ausländern, hier die Jugendlichen in Neukölln, nicht zurück: bildungsfern, kriminell, in einer Parallelwelt lebend. Die Welt der Täter wird in „Das Ende der Geduld“ nur oberflächlich gezeigt. (pro)
„Das Ende der Geduld“, FSK 12, Mittwoch, 19.11., 20.15 Uhr in der ARD, danach in der ARD-Mediathek tgl. ab 20 Uhr
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