Hape Kerkeling hat ein Faible fürs Spirituelle. Das wissen seine Fans spätestens seit dem Bestseller „Ich bin dann mal weg“. In den nun erschienenen Memoiren des Komikers arbeitet er den Suizid seiner Mutter auf und berichtet, wie diese Erfahrung seinen Glauben geprägt hat. Eine Rezension von Anna Lutz
Hape Kerkeling: „Gott bleibt für mich bis heute der unsichtbare Komponist einer wundervollen Musik“
„Gott bleibt für mich bis heute der unsichtbare Komponist einer wundervollen Musik“, schreibt Kerkeling in der Autobiografie „Der Junge muss an die frische Luft“. „Nach seiner Musik zu urteilen, muss Gott phantastisch sein, und ich kann keinen einzigen Grund dafür erkennen, warum ich an ihm zweifeln sollte“, bekennt er. Doch wer Kerkelings Buch gelesen hat, erkennt, dass der Komiker durchaus Grund zum Zweifeln hatte. Als Achtjähriger erlebte er mit, wie sich seine Mutter mit Schlaftabletten das Leben nahm. Stundenlang lag er während ihres Todeskampfs neben ihr im Bett, bevor sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wo sie schließlich verstarb. „Also lege ich mich wieder hin, schließe die Augen, falte die Hände und bete starr vor Angst das Vater-unser rauf und runter. Etwas besseres fällt mir nicht ein“, erinnert er sich an die letzten Stunden, die er gemeinsam mit seiner Mutter zu Hause verbrachte.
Dalai Lama, Wiedergeburt und Kirche
Etwas schlimmeres könne einem Kind nicht passieren, als dass es von der Liebe seiner Mutter getrennt werde, habe ihm einst der Dalai Lama bei einem Treffen gesagt. Nicht wissend, dass Kerkeling dies auf ganz traumatische Weise erfahren hat. Auch daran erinnert sich der Comedian in seinen Memoiren.
Kerkeling sucht Gott – das ist kein Geheimnis. Schon 2006 beschrieb er seine Erfahrungen beim Pilgern auf dem Jakobsweg. Doch sein Zugang ist kein rein christlicher. Öffentlich berichtete er von Rückführungserfahrungen in ein mutmaßliches früheres Leben durch einen „Reinkarnationstherapeuten“. Ganz natürlich findet so eben auch der Dalai Lama seinen Platz im neuesten Werk „Der Junge muss an die frische Luft“. Das macht Kerkelings Auseinandersetzung mit Gott und der Kirche nicht weniger spannend.
„Eine religiöse Organisation, die ein achtjähriges Kind statt ihm bedingungslos und hilfreich zur Seite zu stehen durch einen verwirrenden Regelkanon in einen unerträglichen Gewissenskonflikt treibt, hat ihre Daseinsberechtigung in meinen Augen verspielt“, schreibt er. Kerkeling bezieht sich in dieser Abrechnung auf die mittlerweile aufgehobene katholische Praxis, Selbstmörder nicht kirchlich zu beerdigen. Niemand, so ist er überzeugt, könne exakt sagen, was in den Augen eines bedingungslos liebenden Gottes richtig oder falsch ist. „Das muss jeder Einzelne von uns für sich allein mit seinem Schöpfer oder seinem einzigen Vertreter auf Erden, dem menschlichen Gewissen, ausmachen.“ Es ist eine der vielen Konsequenzen, die er aus den traumatischen Erlebnissen seiner Kindheit gezogen hat. Dass dies keinen Einfluss auf seinen persönlichen Glauben an Gott selbst hat, macht er wieder und wieder deutlich: „Ich glaube, Gott hat mich auch in die Welt gesetzt, damit ich meinen eigenen Maßstab finde … Des Schöpfers Maßanzüge sitzen nun mal deutlich besser als die menschengemachte Dutzendware.“
„Gott erkennt mich“
Die katholische Prägung ist bei Kerkeling familiär bedingt. Seine Großmutter nennt er eine „überzeugte Katholikin“. Bewundernd erinnert er sich an die „gotterfüllte Herzlichkeit“ seiner Tante Lisbeth, einer Ordensschwester. Seine eigene Erstkommunion beschreibt er mit den Worten: „Ab jetzt gehöre ich als vollwertiges Mitglied zur Gemeinschaft der gläubigen Christen. Gott erkennt mich nun.“ Das Wissen um Gottes Beistand habe ihn auch die Depressionen der Mutter ertragen lassen: „Was mir damals hilft, ist meine Hoffnung: dass der liebe Gott oder einer seiner Engel die Sache schon richten wird.“ Ein Holzschnitt mit der Empfehlung „Leg alles still in Gottes Hände“ habe damals über der elterlichen Kücheneckbank gehangen. Einen Grund, an diesen Worten zu zweifeln, habe er damals nicht erkennen können.
Sünde, Leid und andere Unerträglichkeiten
Wohl aber hat er bis heute ein Problem mit kirchlichen Bevormundungen: „Gern will ich ja die ‚Frohe Botschaft‘ der Kirche vernehmen, danach leben und sie sogar verkünden, aber wie denn nur, wenn sie uns ständig die Sünde, das Leid und andere Unerträglichkeiten unter die Nase reibt? Es ist allein meinem eigenen Gewissen überlassen, wie ich mit diesen Dingen umgehe“, schreibt er, und greift die Kirche an. Allzuoft habe diese sich bereits geirrt und es auch kleinlaut einräumen müssen. „Da vertraue ich doch lieber auf mein Gewissen! Das fühlt sich gesünder an.“ Und der Mensch, da ist er sich sicher, wisse aus seiner eigenen göttlichen Natur heraus über Sünde und Leid Bescheid. In seiner Homosexualität sieht er folglich keinen Widerspruch zum christlichen Glauben: „Es ist mir in die Wiege gelegt worden und nach meiner Überzeugung, auch wenn das einigen nicht in den Kram passen mag, von Gott gewollt.“
Man mag über Kerkelings Thesen streiten und gerade seine Aussagen zu Sünde und Leid sind im christlichen Kontext sicher zu diskutieren. Eines aber kann man ihm nicht vorwerfen: Mangelnde Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben. Ob es Zufall ist, dass der Name Kerkeling im Niederländischen so viel wie „Kirchling“ bedeutet? Der Komiker selbst gibt in seinem Buch zumindest zu, dem religiösen Streben seiner niederländischen Urahnen „auf angenehme Weise erlegen zu sein“. (pro)
Hape Kerkeling: „Der Junge muss an die frische Luft.“, Piper, 320 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-492-05700-4
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