Der Selbstmord von MDR-Intendant Udo Reiter hat die Diskussion über das eigene Lebensende neu entfacht. Günther Jauch diskutierte mit seinen Gästen Thomas Gottschalk, Franz Müntefering, Bettina Schöne-Seifert und Nikolaus Schneider über ihren eigenen Tod und wie viel Hilfe sie beim Sterben zulassen würden. Eine TV-Kritik von Johannes Weil
Von PRO
Foto: ARD
In illustrer Runde diskutierten die Gäste bei Günther Jauch über das Thema Sterbehilfe
Vor einer Woche hatte sich MDR-Intendant Udo Reiter das Leben genommen. Thomas Gottschalk, der zum Freundeskreis Reiters gehörte, sagte in der Diskussionsrunde, dass man mit einem solchen Schritt zu rechnen war. „Das Thema gehörte zu seiner Lebensphilosophie.“ Über den frühen Zeitpunkt zeigte sich Gottschalk überrascht, da Reiter bei deren letztem Treffen noch Dynamik und Lebensfreude ausgestrahlt habe, obwohl er seit 50 Jahren an den Rollstuhl gebunden war.
Selbsttötung nicht verklären
Reiter hatte seine Beweggründe für den Selbstmord in einem Brief aufgeschrieben, den Günther Jauch in der Sendung vorlas. Reiters körperliche Kräfte hätten in den letzten Monaten so rapide abgenommen, dass er „demnächst mit dem völligen Verlust meiner bisherigen Selbstständigkeit rechnen muss“. Zudem habe Reiter ein Nachlassen geistiger Fähigkeiten beobachtet und befürchtet, ihm drohe eine Demenz.
Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering warnte davor, Selbsttötung zu verklären. Er tue sich schwer mit einer gesetzlichen Regelung durch den Staat. „Eine Normierung kann der Gesetzgeber nicht leisten.“ Die aktuelle Debatte sei auch eine Zumutung für pflegebedürftige Menschen und für diejenigen, die sie pflegten. Bei diesen Menschen dürfe man nicht den Eindruck erwecken, dass ihr Leben weniger wert sei, als das von anderen Menschen.
Gesetzgeber kann Lebensende nicht normieren
Müntefering mahnte, dass auch die Würde behinderter Menschen bedingungslos unantastbar sei. Er habe bei der Begleitung seiner krebskranken Frau erlebt, dass Sterben gelingen könne. „Die meisten Menschen erleben kein Martyrium. „Wir haben uns so weit entwickelt, dass wir den allermeisten helfen können und auch die Zahl der Suizide hat abgenommen“, betonte Müntefering. Die ethischen Fragen bei der Sterbehilfe seien häufig auch eng mit finanziellen verknüpft, etwa wenn Menschen nach ihrem eigenen Wert fragten oder danach, ob für die Pflege das mühevoll ersparte Haus verkauft werden müsse.
Der scheidende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider ist selbst gegen Sterbehilfe, würde seine krebskranke Frau aber zum Sterben in die Schweiz begleiten. „Ich habe ihr bei der Hochzeit versprochen, dass ich sie lieben und ehren werde“, sagte er im Laufe der Debatte. Dazu gehöre es, ihren Wunsch nach Sterbehilfe zu respektieren. Seine Frau Anne glaube nicht nur an ein Leben im Hier und Jetzt, sondern auch in der Gegenwart Gottes, erklärte Schneider. Reiters Schritt akzeptiere er, auch wenn er Unverständnis und innere Distanz bei ihm auslöse.
Nicht alle Gruppen können Recht auf Sterben umsetzen
Klare staatliche Definitionen hält er immer noch für schwierig. Menschliches Leben dürfe nie abhängig sein von den geistigen Fähigkeiten des Menschen: „Menschliches Leben hat Würde, weil es menschliches Leben ist“, verdeutlichte Schneider. Alles andere hätte „unselige“ Konsequenzen. Schneider wünschte sich, dass sich das Berufsbild des Arztes konsequent am Leben ausrichte. Wie wichtig Begleitung und Zuhörer im Sterbeprozess sind, habe er als Theologe selbst erlebt.
Für gut begründete und überparteiliche Antworten machte sich die Medizin-Ethikerin Bettina Schöne-Seifert stark. Sie bemängelte, dass bestimmte Gruppen eben nicht ihr Recht auf Sterben umsetzen können. Vieles sei rechtlich unsicher und eine Zumutung für alle Beteiligten. Sie hoffe auf eine humane Gesellschaft und gleichzeitig eine Hintertür für diejenigen, die ihre Schmerzen nicht ertragen können. Suizidhilfe soll dann erlaubt sein, wenn es für den Patienten unwürdig und unerträglich werde. Häufig finde eine Bevormundung in Sachen Würde-Verständnis statt, obwohl die die Menschen „würdemündig“ seien.
Am Ende der Sendung wollte Jauch noch von seinen Gesprächspartnern wissen, wie sie selbst sterben wollen. Während es Schneider wichtig ist, nicht alleine gelassen zu sterben, hegt Schöne-Seifert die Hoffnung, dass sie bei einem unerträglichen Zustand einen Arzt finden werde, der sie bei ihrem Sterben unterstützen würde. Während Müntefering sich einen Tod bei klarem Verstand wünscht, machte Gottschalk keinen Hehl daraus, dass er die Frage verdränge. (pro)
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