Viele Asylbewerberheime in Deutschland sind überfüllt. Auch viele Kommunen sind überfordert. Immer mehr Kirchengemeinden und Privatpersonen engagieren sich deshalb ehrenamtlich, um den Flüchtlingen ein angemessenes Leben zu bieten. Bundestagsabgeordneter Martin Patzelt öffnet sogar die eigene Haustür.
Immer mehr Flüchtlingsfamilien aus arabischen und afrikanischen Ländern suchen Asyl in Deutschland. Mit der Unterbringung sind viele Kommunen überfordert (Symbolbild)
Die Männer im „Haus am Wald“ in Mosbach kommen aus Syrien und Pakistan. Sie sind geflohen vor den Krisen in ihren Ländern. Auf dem Gelände der Johannes-Diakonie haben sie nun zumindest vorübergehend ein neues Zuhause gefunden. Das Diakonie-Gebäude diente zuvor als Wohnstätte für Menschen mit Behinderung. Nach dem Umzug der Bewohner in ein neues Gebäude stand das „Haus am Wald“ leer. Der Neckar-Odenwald-Kreis nutzte die Chance und mietete das Gelände als Ergänzung zum Asylbewerberheim in Hardheim für Flüchtlinge an. Dass die sich in der neuen Umgebung wohlfühlen, dafür ist unter anderem Richard Lallathin, Pfarrer der örtlichen Johannesgemeinde, verantwortlich. Anfang Juli rief er den Arbeitskreis Asyl ins Leben. Nun kümmert er sich mit etwa 80 Helfern aus Kirche und Stadt um die Nöte der Flüchtlinge.
Ende August kamen die ersten 20 Männer in dem Haus an. Der Helferkreis war vor Ort, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Stadtführung, Sprachförderung und Begleitung bei Behörden- und Arztbesuchen wurde ihnen angeboten. In einer Teestube, die einmal im Monat veranstaltet wird, können die Asylbewerber sich unter anderem um diese praktischen Hilfen bemühen. Die Ehrenamtlichen förderten auch die Kontakte zu den Nachbarn in der Johannes-Diakonie, halfen bei der Suche nach Möbeln und riefen eine Sportgruppe ins Leben. Auch für die Mobilität sorgten Lallathin und seine Helfer: Den Flüchtlingen wurden Fahrräder zur Verfügung gestellt. „Eventuell wollen wir auch eine Fahrrad-AG für die Männer starten, in der sie dann unter anderem selbst Reparaturen vornehmen können“, sagte der Pfarrer gegenüber pro. Anfang September wurden die Flüchtlinge offiziell mit einem „Fest der Begegnung“ willkommen geheißen. Es sei ein „tolles Fest“ gewesen, sagte Lallathin. Die ehrenamtlichen Helfer hatten sich mit der Kultur der Flüchtlinge vertraut gemacht, es habe zum Beispiel Gerichte aus den Heimatländern der Männer gegeben. Auch Kontakte zu Einheimischen seien geknüpft worden.
Mittlerweile leben etwa 40 muslimische Männer auf dem Gelände der Diakonie. Lallathin ist es wichtig, dass seine Initiative nicht nur eine kirchliche ist, sondern dass sich auch viele Bürger der Stadt beteiligen. Der Arbeitskreis befinde ich immer noch im Aufbau, auch wenn es schon viele Angebote für die Asylsuchenden gebe. Noch sei man dabei, die Bedürfnisse der Flüchtlinge herauszufinden. Vom Land solle zudem ein Sozialarbeiter eingestellt werden, der sich ebenfalls um die Zuwanderer kümmert.
Hoch motivierte Flüchtlinge
Hilfe auf ganz andere Art leistet der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt. Er hat schon öfter Asylsuchende bei sich zu Hause bei Frankfurt an der Oder aufgenommen. „Ich, der ich hier in einem kriegsfreien Land, in einem hohen sozialen Sicherheitsnetz lebe; ich, der ich Bildungsmöglichkeiten habe; ich teile dieses Leben mit Menschen, die alles verloren haben“, sagte er in einem Interview mit dem Radiosender „ERF Pop“. Der ehemalige Kinderheimleiter und eines von 14 Geschwistern betonte aber auch, dass jeder für sich selbst prüfen solle, ob diese Möglichkeit der Hilfestellung richtig sei. Auf politischer Ebene fördere diese Möglichkeit der Integration jedoch den Zugang zu „ganz normalen Lebenverhältnissen“ statt behelfsmäßigen Lagern. Sorge bereitet ihm, dass die Unterbringung die „Rechtsradikalisierung in unserem Land befördert“. Das Motiv sei daher auch politisch. Zudem könne er persönlich davon profitieren: „Das miteinander leben hat unser Leben reicher gemacht. Es hat die Fenster zur Welt geöffnet. […] Es war das beste Bildungsprogramm, dass man sich vorstellen konnte. Man hat live erlebt, wie anderes Leben ist.“
Die Flüchtlinge, die er bei sich beherbergt habe, seien hoch motiviert gewesen. Es waren unter anderem Studenten aus Ghana und Kasachstan. Er plädiert dafür, die jungen Asylbewerber mit einer guten und schnellen Bildung und Ausbildung zu versehen, damit sie entweder in ihre Heimatländer als Fachkräfte zurückkehren oder die Wirtschaft in Deutschland unterstützen könnten.
In seiner Funktion als Bundestagsabgeordneter wirbt Patzelt für ein stärkeres bürgerschaftliches Engagement. Die freiwillige private Unterbringung von Bürgerkriegsflüchtlingen müsse auch rechtlich ermöglicht werden, erklärte er in einer offiziellen Mitteilung. Vor allem die Ausländerbehörden sollten der Bereitschaft zu diesem Engagement entgegen kommen, das in der Bevölkerung durchaus vorhanden sei. Potentielle Gastgeber, die sich an ihn wenden, werde er bei Bedarf unterstützen.
200.000 Asylbewerber bis Ende 2014
Die Zahl der Flüchtlinge, die derzeit in Deutschland ankommen, scheint privates und ehrenamtliches Engagement wie das von Lallathin und Patzelt unverzichtbar zu machen. Viele Kommunen, denen vom Land Asylsuchende zugewiesen werden, klagen über fehlende Unterkünfte und wissen nicht, wie sie die Situation in den Griff bekommen sollen. Im Juli dieses Jahres zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 16.191 Erstanträge auf Asyl. Es ist der höchste Juli-Wert seit 1993. Im Juli 2013 waren es nur 9.516 Erstanträge. Auch im August dieses Jahres blieben die Zahlen hoch: 15.138 Flüchtlinge bewarben sich zum ersten Mal für Asyl in Deutschland. 59,3 Prozent mehr als im August 2013. Die meisten Flüchtlinge stammen derzeit aus Syrien, Serbien und Eritrea. Im August kamen rund 7.800 Menschen aus diesen drei Ländern nach Deutschland. Innenminister Thomas de Mazière rechnet bis Ende des Jahre mit insgesamt 200.000 Asylbewerbern für 2014, sagte er in einem Interview mit der Zeitung Die WeltDie Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben besonders oft mit der Unterbringung von Flüchtlingen zu kämpfen, die ihnen zugewiesen werden. Das Bundesland nimmt derzeit die meisten Asylbewerber auf, die nach Deutschland einreisen. Für 2014 wurde für das Land eine Aufnahmequote von etwa 21 Prozent festgelegt. Um Unterkünfte zu schaffen, hatte die Stadt Duisburg zum Beispiel ein provisorisches Zeltlager für bis zu 150 Menschen errichtet. Obwohl die Maßnahme nur als „temporäre Notmaßnahme für maximal sechs Wochen“ gedacht war, wurde die Zeltstadt nicht in Betrieb genommen. Es sei „unwürdig“ für die Flüchtlinge, zitiert ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) Simone Peter, Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen. In Duisburg leben derzeit etwa 1.500 Asylbewerber – die eine Hälfte von ihnen in Wohnungen, die andere in Gemeinschaftsunterkünften. Jeden Monat kämen weitere 100 dazu, schreibt die FAZ. Das Bundesland verteile die Ankömmlinge oft schon nach 14 Tagen auf Einrichtungen der Kommunen und erstatte manchen Städten nur 20 Prozent der Kosten.
Nicht nur die Ärmsten klagen
Trotz der schwierigen Situation fordert die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V., Pro Asyl, mehr Asylbewerber aufzunehmen. Insbesondere Menschen aus dem Irak solle Deutschland sofort ins Land lassen, heißt es in einer Mitteilung. Von besonderer Dringlichkeit sei es, Verletzte, Witwen und Waisenkinder aus der Krisenregion zu evakuieren. „Deutschland und Europa müssen sich auf dauerhaft höhere Flüchtlingszahlen einstellen“, sagte Geschäftsführer Günther Burkhardt.
Die Zunahme an Asylanstragstellern stelle in manchen Ländern ein Problem dar, gestand der stellvertretende Geschäftsführer Bernd Mesovic gegenüber pro ein. Einige Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein kämen jedoch mit der Unterbringung klar. Zudem seien es nicht immer die ärmsten Kommunen, die sich über hohe Kosten beklagten. „Eines der dauerhaftesten Containerprovisorien steht in einem der reichsten deutschen Landkreise (Oberursel/HTK.) Das steht dort nicht erst, seit die Zahlen steigen“, erklärte er.
Engpässe gebe es besonders bei den Erstaufnahmestellen. Hier müsse die Politik aktiv werden und mehr Personalstellen beim BAMF schaffen, damit ein Asylverfahren nicht durchschnittlich anderthalb Jahre dauere und die Unterkünfte schneller frei würden. Mesovic plädiert auch dafür, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und Flüchtlinge in die Regelversorgung einzugliedern. Das würde Bund und Kommunen finanziell entlasten. „Flüchtlingsaufnahme ist eine gesellschaftliche Daueraufgabe. Zelte und Container mögen – zum Teil auch wegen falscher Planungen in der Vergangenheit – mancherorts zurzeit unumgänglich sein. Noch während dieser Provisorien muss aber die Zukunft geplant werden“, sagte Mesovic. Die Flüchtlingskatastrophe erfordere viel Engagement und Hilfsbereitschaft. Es gehe aber auch um politische Planung und um den Willen, über Provisorien hinauszudenken. (pro)
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