Thomas Fischermann hatte bereits vor einer Woche für die Zeit Contagem, einen Vorort der Halbfinalstadt Belo Horizonte, besucht. Dort war er zu Gast bei einer eine Priesterin der afro-brasilianischen Umbanda-Religion. Die Menschen vor Ort hätten ihm gesagt, dass diese Religion in Brasilien auf dem Rückzug sei. „Was stattdessen einen Siegeszug feiert, sind radikale Freikirchen mit christlichem Hintergrund: Evangelikale zum Beispiel, die ihr Leben ganz wörtlich an den Evangelien ausrichten wollen, und allerlei Sonderkulte, die sich aus christlichen Schriften ihre ganz eigene Theologie zusammen gebaut haben.“ In den ärmeren Teilen der brasilianischen Städte finde man solche Kirchen „in jeder zweiten Straße“, schreibt Fischermann: „Einen weiß gestrichenen Saal, Reihen von Plastikstühlen, vorne einen Altar, Musikinstrumente, Banner mit frommen Sprüchen.“
„Hier ist etwas faul“
Der Autor besuchte eine der am schnellsten wachsenden Kirchen dieser Art in einer ehemaligen Lagerhalle eines Industrieviertels. Alle Menschen im Gottesdienst seien „unheimlich nett“ zum Reporter. „Und es kommt von Herzen“, fügt der hinzu. Doch der gute Eindruck, den Fischermann von den Gemeindemitgliedern gewinnt, erfährt einen herben Dämpfer. Schuld daran sind dubiose Glaubenspraktiken und eine fragwürdige Predigerin: Als die Pastorin den Gottesdienst leitet, stößt ihn das eher ab. Er nennt sie „die Priesterin“, doch noch besser sei der Ausdruck „Prophetin“, lernt er, „Prophetin des himmlischen Königreichs“.
„Die Prophetin aber, das muss man leider sagen, ist eine Bitch“, schreibt Fischermann. Sie beschimpfe die Gottesdienstbesucher vor allem deswegen, weil sie nicht den Anweisungen folgten. Vor allem jene in Sachen Geld. Spenden dürften keinesfalls einfach so auf den Altar gelegt werden, weist sie die Gläubigen zurecht. „Nur Dinge der Kirche dürfen auf den Altar. Alles andere hat vor Gott keinen Wert“, ruft sie.
Fischermann stellt fest: „Hier ist doch auf den ersten Blick etwas faul: Die Prophetin ist frech dabei, diesen armen Leuten den letzten Cent auf den Taschen zu rauben.“ Die Gemeindemitglieder zahlten eine Menge für die Nähe zu Gott, schreibt der Autor. „Aber manche zahlen noch sehr viel mehr, als Spenden oder für Produkte wie Bücher, heilige Bändchen und den Zauberstein der ewigen Weisheit Gottes, den man sich gegen böse Geister ins Wohnzimmer legen kann, der aber regelmäßig wegen irgendwelcher himmlischen Fabrikationsmängel zurückgerufen wird und dann neu gekauft werden muss.“
Die Prophetin spende in ihrer Predigt nur wenige tröstende Worte. Der Zeit-Autor resümiert: „Ich bin froh, als ich wieder im Auto sitze.“ (pro)