Ganz überraschend kommt er dann doch nicht, der Skandal um „YOUrope“, eine Publikation der „Katholischen Jungen Gemeinde“ (kjg), die vor der Europawahl auf deren Internetseite zum Download bereit stand. Da wurde der „kostenfreie und sichere Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung“ verlangt, was konkret bedeute, „Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, eine Schwangerschaft abzubrechen und kostenlos Verhütungsmittel zu erhalten, denn nur so kann die beschriebene Freiheit auch gelebt werden“. Diese Freiheit beinhalte „die freie Wahl der Sexualpartner/-innen, die eigene Entscheidung für Sexualpraktiken und die Wahl, welche Art von sexueller Beziehung jemand führen möchte (das heißt, ob sie/er monogam, polygam, zölibatär etc. leben möchte).“
Schon 2010 dokumentierte die katholische Kirche das Scheitern ihrer eigenen Lehrverkündigung zum fünften und sechsten Gebot im „MDG-Tendmonitor Religiöse Kommunikation“: Demnach sind mit der Position ihrer Kirche zur Abtreibung nur 28 Prozent der Katholiken „weitgehend einverstanden“ und 66 Prozent „eher unzufrieden“; noch höher ist der Veränderungsdruck auf die kirchliche Haltung zur Homosexualität (17 zu 68 Prozent, 15 Prozent „unentschieden“), bei der allgemeinen „Haltung zur Sexualität“ (zufrieden 13, unzufrieden 79 Prozent) sowie zur Empfängnisverhütung (9 zu 85 Prozent). Im Vergleich zu 2002 ist die Ablehnung der kirchlichen Doktrin jeweils gestiegen, am deutlichsten bei der Homosexualität (+8 Prozent).
Bei solchen Größenordnungen kann man auch nicht sagen, der Abfall von der tradierten Moral beträfe nur die sowieso kaum noch glaubenden, randständigen Kirchenmitglieder. 54 Prozent der Katholiken erklären sich ausdrücklich ihrer Kirche verbunden, 44 Prozent halten „ein an christlichen Werten ausgerichtetes Leben“ für „ganz besonders wichtig“. Offenkundig sind die Differenzen in der Morallehre nicht nur mit Glaubensabfall, Gleichgültigkeit und Anpassung an den Zeittrend zu erklären, sondern beruhen bei einem Teil der Unzufriedenen durchaus auf einer Anstrengung des eigenen Wissens und Gewissens. Der Streit um die Sexualmoral geht mitten durch die Kerngemeinden und auch durch den engagierten Teil der kirchlichen Jugend.