Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat am Montag in Hannover ihr neues „Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie“ eröffnet. pro hat sich zwischen Feminismus, Evangelikalen-Kritik und veganem Essen umgesehen – und teils Erstaunliches gehört.
Von PRO
Foto: EKD / Nico Herzog
Claudia Janssen, Nikolaus Schneider und Simone Mantei vor der Eröffnungsfeier
„Q-U-E-E-R“ buchstabiert Claudia Janssen geduldig auf der Pressekonferenz der EKD zur Eröffnung ihres neuen Gender-Zentrums. Ein Journalist will sichergehen, dass er „Queer-Theologie“ richtig schreibt. Diese Strömung, die eine Theologie ausgehend von der Lebenswirklichkeit nicht heterosexueller Menschen betreiben will, soll im Studienzentrum berücksichtigt werden. „Ich persönlich nähere mich den Fragen des Geschlechterverhältnisses aus feministischer Perspektive an“, ergänzt Janssen und erklärt, bei ihrer Arbeit gehe es darum, aus Dialogen zu lernen: „Nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen allen Geschlechtern, zwischen Menschen, die hetero-, bisexuell, lesbisch, schwul, transgender, intersexuell, queer sind.“
Janssen wird das Zentrum gemeinsam mit Simone Mantei leiten. Für die Verwaltung ist eine weitere halbe Stelle vorgesehen. Das jährliche Budget liegt bei 218.000 Euro. Der Rat der EKD definiert die Mission so: Das Studienzentrum für Genderfragen soll „zur Gestaltung einer Kirche beitragen, in der die Vielfalt menschlicher Begabungen auf allen Ebenen (…) zum Tragen kommt“. Dabei geht es laut Mantei auch um Vernetzung, Bewusstseinsbildung und die Bündelung von Expertise. Vom Begriff des „Gender Mainstreaming“ grenzt sie sich ab: „Dafür sind wir nicht die richtigen Ansprechpartner, sondern die Gleichstellungsbeauftragten“, erklärt sie auf Nachfrage von pro. „Die einzige Ideologie der Kirche ist übrigens das Evangelium, alles andere liegt darunter. Das dürfen wir und unsere Kritiker nicht vergessen.“
Schneider über Birgit Kelle: „populistische Anbiederei“
Nach der Pressekonferenz wird das Zentrum mit einem veganen Vier-Gänge-Menü eröffnet, an dem gut 200 Gäste – überwiegend Frauen – teilnehmen. Das Format des „Frauenmahls“ mit Tischreden über die Zukunft von Kirche und Theologie ist eines der Projekte, die im Zentrum vorangetrieben werden sollen. Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der EKD, beginnt seine Tischrede mit Kritik an denjenigen, die mit dem Begriff „Gender“ wenig anfangen können. Er greift die katholische Journalistin Birgit Kelle heraus, die Gender Mainstreaming im pro-Interview als „wirre Ideologie“ bezeichnet hatte, der sich Christen entgegenstellen müssten. „Solche polemische Kritik und die Zustimmung zu ihr lassen darauf schließen, dass mit ‚Gender‘ Gefühle und Ängste bei Menschen angesprochen werden“, sagt Schneider. Kelles „Aufschrei“ gegen einen „vermeintlichen Genderwahn“ verstehe er als eine „populistische Anbiederei an veränderungsunwillige konservative Kreise“.
Er selbst, sagt Schneider, habe in der feministischen Theologie zunächst vieles für Unsinn gehalten und habe sich erst von seiner Frau langsam überzeugen lassen. „Vieles ist in unserer Kirche schon geschehen“, lobt er, „Verkrustungen einer jahrtausendealten Männertheologie und Männerkirche wurden – Gott sei Dank! – in den letzten 40 Jahren von Frauen schon aufgebrochen.“
„Nicht zwei, sondern 4.000 geschlechtliche Differenzierungen“
Nach dem Ratsvorsitzenden spricht dann eine Frau. Ähnlich wie Schneider fordert die Präses der Synode der EKD, Irmgard Schwaetzer, mehr Frauen in Leitungs- und Beratungsgremien der Kirche. Im Herbst soll zu diesem Thema ein „Gleichstellungsatlas“ vorgestellt werden. Die Präsidentin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Susanne Rode-Breymann, berichtet anschließend zwischen Cremesuppe und gefüllter Paprika davon, wie der „männliche Blick“ auf die Kultur die Errungenschaften von Frauen bisher vernachlässigt habe. Da das „männliche Denken“ auch bei Frauen verankert sei, seien in der Vergangenheit „Möglichkeitsräume übersehen worden“.
Die letzte „Tischrede“ der Eröffnungsfeier schließlich kommt von Lucie Veith, die „Vorsitzende_r“ des Bundesverbands Intersexueller Menschen ist. Sie erklärt dem sichtlich erstaunten Publikum, dass jedes zweitausendste Kind in Deutschland intersexuell, also mit körperlichen Merkmalen beiderlei Geschlechts, geboren würde, und deswegen Diskriminierung und „unmenschliche Behandlungen“ ertragen müsse. „Ich verstehe nicht, dass wir Christ/innen so etwas geschehen lassen“, sagt sie und appelliert: „Wissenschaftlich ist die Existenz von mindestens 4.000 Varianzen der geschlechtlichen Differenzierung bekannt, und wir begrüßen zwei Geschlechter. Dabei wäre es so einfach, alle Menschen zu begrüßen.“
„Eine schreckliche Geschichte“, findet eine der Damen im Publikum. Die Tischgespräche zwischen den Impulsen drehen sich in erster Linie um feministische Theologie und die Frage, ob denn das Thema „Frauen“ so weit abgeschlossen sei, dass man nun bereit wäre für Gender und LSBTTI-Menschen. „Ich habe schon vor 40 Jahren für die Akzeptanz von Homosexualität geworben“, erinnert sich eine Dame, die demnächst 80 Jahre alt wird und sich gerne an ihren Einsatz für mehr Gleichberechtigung erinnert. Mit Entsetzen raunt eine andere über „diese Evangelikalen“, die inzwischen auch in Talkshows ihre Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen kundtun dürften.
„Die Bibel ist ein Schatz für mich“
Lucie Veith zitiert Martin Luther mit dem geflügelten Wort, dass man das Kreisen eines Vogelschwarms über dem eigenen Kopf nicht verhindern könne, wohl aber das Nisten der Vögel in den Haaren. „Die Diskriminierung wegen des Geschlechts ist einer dieser Vögel“, sagt sie. Auch die „Brandstifter in Württemberg“, gemeint sind vermutlich Gegner des grün-roten Bildungsplans, seien solche Vögel. Eins aber haben die Kritisierten mit den Rednern der Veranstaltung gemein. Denn alle Redner berufen sich explizit auf die Bibel. „Die Bibel als Schatz neu entdecken – so könnte die Überschrift über meinem Arbeitsschwerpunkt im Studienzentrum für Genderfragen lauten“, sagt Claudia Janssen. „Es geht hier darum, Pluralität und Identität zusammenzubringen, und dazu hat die Bibel viel zu sagen“, ergänzt Simone Mantei.
Die anfangs erwähnte Journalistenfrage zeigt: Das Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie hat noch viel Arbeit vor sich, um seine queeren Ideen zu vermitteln. Der Grundstein dafür wurde am Montag gelegt. (pro)
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