Die Nordkirche hat ein Nachwuchsproblem. Zahlreiche Pfarrer gehen in den Ruhestand und die nachrückenden Jungtheologen können diese Lücke nicht füllen, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Mittwoch. Um das Problem zu lösen, gehen auch andere Evangelische Landeskirchen ganz neue Wege.
Christiane de Vos ist Pastorin und Projektbeauftragte von „Die Nachfolger“. Sie rekrutiert Pfarrernachwuchs für die Nordkirche.
Auf der Internetseite die-nachfolger.de berichten Theologiestudenten, Vikare und Pastoren von ihren Studien- und Berufserfahrungen. Der prominenteste Steckbrief auf der Seite stammt von Bundespräsident Joachim Gauck. Die Nordkirche betreibt das Portal und wirbt damit um Pfarrer-Nachwuchs.
Im November 2011 schuf die Kirche, die damals noch Nordelbien hieß und jetzt zusammen mit der Mecklenburger und Pommerschen Landeskirche die Nordkirche bildet, als eine der ersten eine Stelle zur Gewinnung von pastoralem Nachwuchs. Damit sollen Interessierte zum Theologiestudium informiert und beraten werden. Christiane de Vos ist Pastorin und Projektbeauftragte von „Die Nachfolger“. Sie und ihr Kollege, Pastor Christian Butt, gehen in Schulen, Gemeinden, bieten Theologie-Schnuppertage an und stehen im Netz Rede und Antwort. Auf Facebook hat ihre Seite immerhin rund 420 Fans. Auch die Landeskirchen in Oldenburg und in Hannover haben eigens Stellen zur Nachwuchsrekrutierung geschaffen.
Mehr als ein Drittel der Pfarrer geht in den Ruhestand
Das Engagement hat einen Grund: Im Gebiet der Nordkirche arbeiten zur Zeit insgesamt 1.652 Pastoren. Im Jahr 2025 würden es rund 400 weniger sein, meldet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). „Wir brauchen am Ende dieses Jahrzehnts den Nachwuchs, ab 2018 wird der Mangel eklatant“, sagte de Vos in einem früheren Gespräch gegenüber pro. „Wir machen jetzt Werbung bei Schülerinnen und Schülern, in der Hoffnung, dass sie sich für ein Theologiestudium auf Pfarramt entscheiden. Damit wir dann in zehn Jahren genügend Pastoren haben. Wer jetzt anfängt, Theologie zu studieren, ist ja nicht sofort ordiniert. Das dauert eine Weile.“ Das Studium dauert in der Regel sechs Jahre, hinzu kommen zwei bis drei Jahre Vikariat, danach folgt die Ordination.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) hat laut eigenen Angaben im Jahr 2014 mit 414 Studenten die größte Landesliste. Diese Liste dient als Verzeichnis derer, die das Erste Theologische Examen machen wollen. Der Kirchenrat der ELKB, Johannes Minkus, sagte vergangenes Jahr gegenüber pro: „Wir haben derzeit kein Nachwuchsproblem. Allerdings wird es in zirka zehn Jahren einen Pensionierungsschub geben, für den wir über den momentanen Bedarf hinaus ausbilden oder übernehmen müssen.“ Auf der Liste der Nordkirche stehen laut FAZ derzeit 213 Interessenten einer Pastorenstelle. Sie bietet natürlich keine Garantie, dass jeder Aspirant richtig ist im Pfarrersberuf.
Aber wer eignet sich eigentlich als Pfarrer? Der Super-Fromme oder der Otto-Normal-Gläubige? De Vos erklärte: „Wir brauchen ganz unterschiedliche Typen. Es ist wichtig, dass wir Leute aus ganz verschiedenen Hintergründen haben, die aus der Stadt oder vom Land kommen, Kinder von Nicht-Akademikern, Studenten, die unterschiedliche Sprachen des Glaubens sprechen mit verschiedenen Frömmigkeitsprägungen – von missionarisch-evangelikal bis streng liturgisch.“
Nachwuchs-Expertin Christiane de Vos setzt auf Multiplikatoren. „Jugendpastoren oder Religionslehrer haben eine persönliche Beziehung zu den Jugendlichen. Schüler nehmen die Empfehlung ‚Denk doch mal über ein Theologie-Studium nach‘ eher einer Bezugsperson ab als mir“, sagte sie zu pro. Bei Informationswochenenden und Studieninformationsveranstaltungen spricht de Vos aber auch selbst über den Beruf des Pfarrers. Dabei versucht sie das Bewusstsein der Jugend zu stärken für Fragen wie: „Was war mein Weg bisher? Wo stehe ich jetzt? Was sind meine Fragen? Wo sind meine Stärken und Schwächen? und Wo passt da Theologie und arbeiten in der Kirche rein?“ Dazu bietet sie zwei bis drei Mal im Jahr ein Schnupperwochenende an. Dort wird theologisch gearbeitet: ein bisschen Bibelexegese, ein bisschen Kirchengeschichte, ein bisschen Seelsorge – alles, was das Theologiestudium mit der Perspektive Pfarramt vorsieht. Diese Tage sollen Orientierung geben. Das kann auch mal anders sein, als de Vos hofft: „Einmal kam eine Schülerin am Sonnabend Abend zu mir und sagte: ‚Frau de Vos, mir gefällt das richtig gut hier, ich finde das wunderschön, aber ich weiß jetzt sicher, dass ich das nicht machen will.‘“
Sie selbst brennt für ihren Beruf und muss sich manchmal bremsen, damit sie niemanden überrumpelt. Sie sagt aber auch: „Ich will dabei helfen, dass diejenigen, für die das ihr Weg vor Gott ist, das für sich entdecken. Andere sollten das tunlichst lassen. Pastoren, die nur wegen der sicheren Stellenaussicht jetzt Pastor werden wollen, auf die wartet niemand in der Kirche.“ Ein Pfarrer müsse überzeugend das leben, was er glaubt.
Mitte und Ende der 1980er Jahre haben sich laut einer Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zwischen 10.000 und 11.000 Studenten für das Theologieexamen angemeldet. Heute sind es gerade einmal rund 2.400. Davon sind 56 Prozent Frauen.
Heiß begehrte Pfarramt-Studenten
Die Gründe für den Zahlenrückgang sind vielfältig. De Vos erklärte: „In den 1980er und 1990er Jahren konnten viele Kirchen einen Teil der fertig ausgebildeten Theologen nicht einstellen. Noch 2008 war es in Nordelbien so, dass nicht alle Leute aus dem Vikariat ins Pfarramt übernommen werden konnten. Ein paar Jährchen später sieht das anders aus.“ Die Marburger Philipps-Universität hat den Masterstudiengang Evangelische Theologie für Berufstätige eingeführt, die bereits ein Studium abgeschlossen haben. Dieser werde in Hessen anerkannt. Zudem wird ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis auf Lebenszeit bei Pfarrern nur bis zum 40. Lebensjahr geschlossen. Die 50-jährige de Vos verdient so viel wie ein Gymnasiallehrer.
Ein Grund, warum die Studenten wegbleiben, ist, weil sie fürchten keine Stelle zu bekommen, obwohl diese Angst unbegründet sei. Die Sorge vor Überarbeitung ist ein weiterer. „Die Jugendlichen sehen Pastoren, die sehr engagiert sind. Es gibt viele, die über die Grenzen der eigenen Kapazität hinweggehen. Die Jugendlichen sagen sich dann: ‘Kann ich nicht, will ich nicht!‘“, erklärte de Vos. Auch Fragen wie „Wird mein Glaube das tragen?“ oder „Wie viel Entscheidungsfreiraum, welche Gestaltungsmöglichkeiten habe ich in einer zukünftigen Gemeinde?“ würden gestellt.
Der Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Rostock, Thomas Klie, führte zudem an: „Das Berufsbild ist seit 500 Jahren relativ konstant geblieben, aber der Zeitgeist hat sich geändert. Öffentliche Berufe sind immer weniger attraktiv. Ein Pfarrer muss mittendrin wohnen. Das hat gute Gründe. Der Zeitgeist sagt: Wo sind eigentlich deine Privatheit, deine Freizeit und deine Privaträume?“ Das Thema der Residenzpflicht wird unter Studenten intensiv diskutiert, bestätigt auch de Vos.
Hartmut Lübben ist in der Oldenburger Landeskirche mit einer halben Stelle für theologischen Nachwuchs zuständig und betreut die Internetseite werde-jemand.de. Er sagte gegenüber pro: „Ich versuche, so viel theologischen Nachwuchs zu gewinnen, wie möglich. Wenn es mir gelingt, jemanden zum Theologiestudium zu begeistern und er verliebt sich dann und geht nach Bayern, dann freue ich mich auch. Ich freue mich aber doppelt, wenn er nach Oldenburg kommt.“ Auch er weiß um die Konkurrenz der Gliedkirchen der EKD, wenn es um den theologischen Nachwuchs geht. Die Gratwanderung zwischen solcher Konkurrenz und nötiger Kooperation in Sachen Nachwuchsförderung gelinge unter den Beauftragten der einzelnen Kirchen gut. Zudem plane die EKD, eine deutschlandweite Kampagne für das Theologiestudium und die Berufsperspektive Pfarramt zu starten. (pro)
Dieser Text wurde aktualisiert und ist in der Ausgabe 3/2013 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie es kostenlos unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.
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