Nur jeder achte Protestant in Deutschland nimmt intensiv am kirchlichen Leben teil. Das hat eine Erhebung der Evangelischen Kirche unter ihren Mitgliedern ergeben. Vielen ist ihre Gemeinde schlicht egal.
Von PRO
Foto: Harald Lange|fotolia
Ob Luther das gefallen würde? Die Protestanten in Deutschland sind entweder stark engagiert – oder völlig gleichgültig gegenüber ihrer Kirche
Lediglich 13 Prozent der Protestanten in Deutschland pflegen eine intensive Mitgliedschaft in ihrer Kirche, das heißt, sie besuchen mindestens einmal im Monat Gottesdienste, pflegen einen persönlichen Kontakt zum Pfarrer und beteiligen sich am kirchlichen Leben. Dennoch kommt für drei Viertel ein Kirchenaustritt nicht in Frage. Jeder Siebte fühlt sich der Kirche sehr verbunden, ebensoviele überhaupt nicht.
Klar zeigt sich: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kirchenmitglied an Gott glaubt, nimmt mit der Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs zu. So ist von jenen, die nie in die Kirche gehen, lediglich jeder Fünfte davon überzeugt, dass Jesus Christus Gott ist. Unter wöchentlichen Gottesdienstbesuchern sagte dies fast jeder. Das ist ein Ergebnis der am Donnerstag in Berlin vorgestellten Erhebung über Kirchenmitgliedschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
„Nahezu vollkommene Gleichgültigkeit“
Die Studie untersucht, wie sich Kirchenmitgliedschaft praktisch auswirkt. Für die Untersuchung befragte das Institut Emnid im Jahr 2012 über 3.000 Menschen, darunter rund 1.000 Konfessionslose, von denen etwa die Hälfte wiederum einst der Evangelischen Kirche in Deutschland angehörte. Die restlichen Befragten sind Mitglieder der EKD. Es ist die fünfte Erhebung dieser Art in 40 Jahren. Der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider zeigte sich besorgt über eine zunehmende Indifferenz innerhalb der Kirche. Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, stellte fest, dass sowohl die Gruppe der hoch Engagierten als auch die Gruppe der Indifferenten zunehme. Teilweise herrsche eine „nahezu vollkommene Gleichgültigkeit“ gegenüber der Kirche. Diese müsse sich eingestehen, dass es „nicht gelingt, die existenzielle Bedeutung des Glaubens für alle plausibel zu machen“.
Betreut hat die Studie unter anderem der Soziologe Detlef Pollack. Bei der Vorstellung stellte er fest, dass die Kirche einen beachtlichen Fundus an Sozialkapital für die Gesellschaft bereitstelle. So seien kirchlich Engagierte überdurchschnittlich häufig auch in nichtkirchlichen Vereinen, Parteien oder sozialen Hilfsangeboten aktiv. Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm erklärte: „Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche trägt zum Zusammenhalt zwischen den Menschen bei.“ Insgesamt zeigt sich aber, dass sich die Zahlen zivilgesellschaftlich Engagierter unter Konfessionslosen und Gebundenen ähneln: Unter den Protestanten sind es 28 Prozent, unter den Nicht-Protestanten 26 Prozent.
Missionarische Angebote kommen weniger an
Sorgen muss sich die EKD vor allem um die jungen Mitglieder. Die sind offenbar besonders zurückhaltend, was den Gottesdienstbesuch angeht. Jeder Zehnte der unter 30-Jährigen geht mindestens wöchentlich in den Gottesdienst. Unter den 75- bis 89-Jährigen tun dies fast die Hälfte der Kirchenmitglieder. Am beliebtesten sind Familien- und Segnungsgottesdienste. Weniger angenommen werden von evangelischen Kirchenmitgliedern Taizé-Andachten, Gottesdienste für Zweifelnde oder missionarische Angebote wie ProChrist oder im Rahmen des Christival. Bedford-Strohm erklärte: „Wir sollten als Kirchen noch viel deutlicher machen, warum der Glaube eine Grundlage für ein glückliches Leben ist.“
Die ehemaligen Mitglieder der Evangelischen Kirche begründeten ihren Austritt mehrheitlich damit, dass die Institution unglaubwürdig sei, sie ihnen gleichgültig ist oder dass sie keine Religion brauchten. Als Gründe für die Kirchenmitgliedschaft gaben die Protestanten am häufigsten an, sie wollten einmal kirchlich bestattet werden, ihre Eltern seien Kirchenmitglied gewesen oder sie wollten etwas für Arme, Kranke und Bedürftige tun.
Diakonie statt Politik
Als „religiös“ identifizierten die Befragten vor allem Themen wie den Tod, den Anfang der Welt und Fragen von Sterbehilfe und Selbsttötung. Fragen der Gerechtigkeit, Freiheit und des Friedens hingegen definiert nur rund die Hälfte der Befragungsteilnehmer als mit der Religion verwoben. Die Natur halten lediglich 40 Prozent für ein religiöses Thema. Engagement erwarten die meisten von ihrer Kirche im Bereich der Diakonie. Weniger als die Hälfte wünscht sich politische Grundsatz-Statements von der Institution. Die Mitglieder der Evangelischen Kirche besprechen Sinnfragen am liebsten mit ihrem Ehepartner. Nur ein Fünftel gab an, bei solchen Themen kirchliche Mitarbeiter zu Rate zu ziehen, ebensoviele wenden sich an andere Gemeindemitglieder. So ist der Ort für solche tiefgreifenden Gespräche auch eher das eigene zu Hause als die Kirche. Persönlichen Kontakt zum Pfarrer pflegen unter den Evangelischen weniger als die Hälfte. Ein Fünftel weiß nicht, wer die entsprechende Person überhaupt ist.
Aberglaube in der Kirche
Knapp über die Hälfte der Protestanten sagt, ihre religiöse Überzeugung sei wichtig für ihre Identität. Ebensoviele sind der Meinung, jede Religion habe Stärken und Schwächen, man solle sich aus den einzelnen Religionen die jeweiligen Stärken herausnehmen. Damit sind sie sich mit den Konfessionslosen nahezu einig: Etwas weniger als die Hälfte von ihnen befürworteten dieses Prinzip ebenfalls. Etwa jeder siebte Protestant glaubt daran, dass Steine, Kristalle und Amulette besondere Heilkraft haben. Sogar jeder Fünfte gab an, zu glauben, Sternenkonstellationen hätten Einfluss auf das Leben – ebensoviele wie unter den Konfessionslosen.
Wer sich über die Kirche informieren will, greift übrigens eher selten zu Medien. Lediglich jeder Zweite informiert sich in Tageszeitungen über die Kirche, das Internet nutzt dazu nur jeder Siebte. (pro)
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