Valens Karangwa ist kein Geschichtenerzähler. Noch nicht. Erst seit einem Jahr lebt er in Deutschland. Obwohl ihm oft die richtigen Worte fehlen, findet er immer Wege, sich auszudrücken. Zu Besuch bei einem afrikanischen Pastor.
Valens an seinem Schreibtisch: Gute Arbeit zu leisten, ist ihm wichtig
„Willkommen! Willkommen!“ tönt es vom obersten Treppenabsatz. In der offenen Wohnungstür steht Valens Karangwa. Er trägt seine kleine Tochter Theophanie auf dem Arm und strahlt. „Pass auf, es ist sehr steil“, ruft er und meint die alte, knarrende Treppe, die hinauf zu seiner Altbauwohnung über einem Frisörsalon in Dortmund führt. Auf dem Esstisch im Wohnzimmer stehen Kaffee und Kuchen bereit. Ein großes rotes Ecksofa dominiert den hinteren Teil des Zimmers. Auf den hellen Möbeln liegen Spitzendeckchen. Alles ist ordentlich aufgeräumt. Der Begriff „Ordnung“ ist Valens – er möchte auf jeden Fall geduzt werden – sehr wichtig.
Es ist kühl in der Wohnung, das Thermometer zeigt nur 17 Grad. Kälte macht dem Afrikaner nicht viel aus. „Die Leute denken, Winter ist schlimm für uns. Aber ich mag den kalten Winter, auch den Schnee. Es gibt dieses Material“, sagt er und zeigt auf die Heizung. „Wir können es in der Wohnung warm machen.“ Das scheint nach seinem Empfinden aber noch nicht nötig zu sein. Er erzählt, in Ruanda gebe es hohe Berge, auf denen es auch kalt sei.
In Ruanda ist Valens geboren und aufgewachsen. Vor gut einem Jahr kam der 43-Jährige mit seiner Frau und drei Kindern, zwei 9- und 13-jährigen Söhnen und einer 5-jährigen Tochter, über ein Austauschprogramm der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) nach Deutschland. Für mindestens drei Jahre wird er in Dortmund leben und arbeiten. Zuvor arbeitete er als Pfarrer bei der Presbyterianischen Kirche von Ruanda. Studiert hat er in Kenia. In Deutschland ist er zur einen Hälfte bei der Evangelischen Kirchengemeinde Schüren angestellt, zur anderen Ökumenischer Mitarbeiter in der Evangelischen Kirche von Dortmund und Lünen.
„Deutsche haben keine Zeit“
Wenn Valens redet, wählt er einfache Worte. Ab und zu mischen sich englische oder französische Ausdrücke unter sein Deutsch. Erst vor einem Jahr hat er begonnen, Deutsch zu lernen. Manchmal redet er nur in Teilsätzen und immer klingt es irgendwie afrikanisch. Wenn ihm mal wieder die passenden Worte fehlen, untermalt er seine Erzählungen mit Gesten, spielt Situationen nach. Zum Beispiel, als er die Unterschiede zwischen der deutschen und der afrikanischen Kultur erklärt. „In Afrika kommen die Leute und sitzen. Ohne Termin. Nach einer Stunde verabschieden sie sich“, sagt er, lehnt sich zurück, verschränkt die Arme und redet mit einem imaginären Gegenüber: „Wie geht es dir?“ – „Gut, danke!“
Mit solchen Besuchen rechnete er auch, als die Familie neu in die Dortmunder Wohnung einzogen war. Stattdessen seien Gemeindemitglieder gekommen, um das Telefon anzuschließen und beim Einrichten zu helfen. „Gute Dienste, aber sie kamen nicht, um zusammenzusitzen“, bedauert Valens. Er glaubt: Deutsche haben für so etwas keine Zeit. Sie sind „harte Arbeiter“, stellt er fest. Dafür aber sehr hilfsbereit: „Du hast ein Problem? Dann sagen sie: Wir kommen. Schnell.“ In seiner eigenen Kultur hingegen kümmere man sich selten um die Probleme anderer, man wolle sich dort nicht einmischen.
Geregelt und fehlerlos
Valens hat seine Aufgabe in der Dortmunder Gemeinde klar vor Augen. Er möchte erklären, wie ein erfülltes Leben aussehen kann. Grundlage dafür sei Jesus Christus: „Jesus kam zur Rettung für alle Menschen. Deshalb muss ich auch immer über die Rettung von Jesus predigen.“ Durch den Glauben „wird das Leben gut für alle Leute und wir können in Frieden leben“.
An die geregelten Abläufe in Deutschland musste sich die Familie erst gewöhnen. „Wenn jemand einen Fehler macht, landen alle anderen Dinge im Chaos“, sagt Valens und meint damit insbesondere die Pünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel. Alles sei hier „in Ordnung“, wiederholt er regelmäßig und meint damit Absprachen, Termineinhaltung und Tagesplanung. Auch, wenn diese Organisation für ihn noch ungewohnt ist, hat er gewisse Vorteile für sich erkannt: „Du weißt, wann du deine Aufgaben machen musst und wann du mit deiner Familie zusammen sein kannst.“
In seinem Heimatland liegt der Schwerpunkt der kirchlichen Arbeit woanders. „In Afrika ist die Kirche Lebensmittelpunkt. Die Leute finden dort manchmal etwas zu essen“, sagt er und klingt sehr nachdenklich, fast traurig. „Man kann kommen und sagen: Heute habe ich kein Geld, aber meine Kinder wollen etwas zu essen.“ Die afrikanischen Pastoren hätten im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen kaum Zeit, Predigten vorzubereiten: „In Afrika sind immer Besucher da.“
„Feiern ist Tanzen“
Die Predigtvorbereitung sei in Deutschland aber besonders wichtig, weil die Zuhörer im Anschluss oft seine Meinung hören wollten. „Die Leute wissen die Dinge, sie fragen aber trotzdem nach. Sie sind hier sehr intellektuell“, stellt Valens fest. Dem hauptverantwortlichen Pastor legt er deshalb – schon wegen der Sprachschwierigkeiten – seine Predigten zur Kontrolle vor.Der Familienvater vermisst in Dortmund junge Gottesdienstbesucher. Vielleicht kommen sie nicht, weil es nicht genug Musik und Gespräche gibt, mutmaßt er. In seiner Heimat besuchten mehr Junge als Alte die Kirche und dort dauere ein Gottesdienst auch mindestens zwei Stunden. „In Afrika wollen die jungen Leute die lange Zeit, weil sie tanzen und reden wollen. Wenn du als Pfarrer nur eine Stunde machst, wollen sie nicht kommen.“ Dort gelte das Motto: Gottesdienst ist Feiern. Und Feiern ist Tanzen. Valens strahlt.
Bei den afrikanischen Gottesdiensten komme aber die biblische Botschaft oft zu kurz, erzählt er weiter. Es sei neben dem Feiern auch wichtig, auf Gottes Wort zu hören. Das findet er in der Dortmunder Gemeinde besser geregelt. Und was die Ordnung betrifft, liege ein deutscher Gottesdienst auch vorn. „Die Leute sind pünktlich. Um zehn sind sie da.“ Valens klingt sehr beeindruckt. Nur die verschlossenen Kirchentüren während des Gottesdienstes stören ihn ein wenig. „Bei uns sind die Türen offen, weil die Leute zu spät kommen. Manchmal wollen sie auch früher gehen.“
„Wenn ich predige, bin ich Afrikaner“
Auf die Frage, ob er seine Heimat vermisst, will Valens nicht antworten: „Wir wollen hart arbeiten hier“, sagt er mit Nachdruck. Bis auf eine Schnitzerei an der Wand fällt in der Wohnung nichts aus seiner Heimatkultur ins Auge. Die Familie ist bemüht, sich zu integrieren. Sei es durch Lebensstil, Sprache oder die Ordnung. Die Kinder kämen damit gut klar, sie sprächen sogar schon besser Deutsch als er. Nur seine kleine Tochter Theophanie frage oft, warum sie ihre Großeltern nicht besuchen könne. Trotz aller Integration: „Wenn ich predige und singe, bin ich Afrikaner“, sagt er lachend und zeigt mit weit ausholenden Armbewegungen, wie das aussieht.
Bewegung ist für ihn nicht nur beim Erzählen und Predigen wichtig. Er müsse immer aktiv sein. Deshalb spielt er auch regelmäßig Fußball und geht spazieren. Zum Beispiel zum Elektronikmarkt Saturn. Der sei immer einen Besuch wert. „Wir können etwas kaufen, aber auch einfach nur gucken. Das macht Spaß“, erzählt er und grinst.
Sein Lebensmotto steht in Römer 12,8: „Ist jemandem Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er‘s gern.“ Valens setzt sich gern für ein gelingendes und friedvolles Miteinander ein. Er ist ein Beziehungsmensch. „Wenn Menschen zusammen sind, wird das Leben sehr schön“, ist er überzeugt. Zu den wichtigsten drei Dingen in seinem Leben zählt es neben seiner Familie und seiner Arbeit deshalb auch, mit anderen Menschen Lebensfreude zu teilen. „Ich will mit ihnen lachen. Lachen ist wichtig. Und lachen ist gesund.“
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