Jesus war nichts anderes als ein national-religiöser Eiferer. Erst die biblische Überlieferung konstruierte ihn zum Erlöser der Welt. Das behauptet der amerikanische Religionswissenschaftler Reza Aslan in seinem Buch „Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit“. Das Werk lässt allerdings Fragen offen. Eine Rezension von Daniel Frick
Reza Aslan beleuchtet in seinem Buch die politischen Hintergründe im Heiligen Land zur Zeit Jesu.
Aslan setzt bei einer Grundproblematik neutestamentlicher Theologie an: Die Berichte über Jesus in den neutestamentlichen Schriften, insbesondere den Evangelien, sind immer schon eine Deutung seiner Person. Demnach ist Jesus Christus der Erlöser der ganzen Welt. Um zu ermitteln, was zu dieser Deutung geführt haben könnte, müsste man also die „historischen Fakten“ herauslesen.
Dafür ist es hilfreich, sich einen Überblick über die politischen Umstände im Heiligen Land zu Jesu Zeit zu verschaffen. Genau das nimmt sich Aslan im ersten Teil seines Buches vor. Mit großer Erzählkunst zeichnet er ein Bild von den schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen in Galiläa, Jesu Heimatregion, und dem Frust der Galiläer angesichts der Unterdrückung durch das Römische Reich und der Ränkespiele einer korrupten Priesterschaft in Jerusalem.
Diese Gemengelage führte zu mehreren Widerstandsbewegungen der einfachen Bevölkerung. Selbsternannte Messiasse scharten Anhänger um sich, um ihr Land von den Römern zu befreien. Diese „Eiferer“ oder „Zeloten“ wollten das Land unter das Regiment Gottes stellen und von fremden Elementen befreien. So sollte das „Reich Gottes“ wieder erblühen wie einst das Königreich Israel unter David. Letztlich führten diese Bewegungen aber zu einer Katastrophe für die Juden: der Zerstörung Jerusalems und des jüdischen Tempels durch römische Truppen im Jahr 70 nach Christus.
Jesus und die Gewalt
Aslan, der als Dozent für Kreatives Schreiben arbeitet, versucht nun zu zeigen, dass Jesus letztendlich nur einer der vielen Messiasse war, die ihr Volk befreien wollten. Wenn Jesus vom „Reich Gottes“ sprach, dann meinte er nicht ein „inwendiges“, „unsichtbares“ Reich, wie es die christliche Überlieferung Glauben macht, sondern die Restauration Israels. Mit seinen Heilungen und Wundern stellte er den etablierten Tempelbetrieb in Frage. Mit seinem Anspruch, „König der Juden“ zu sein, provozierte er Rom. Die romtreue Priesterschaft lieferte Jesus aus; die römischen Autoritäten ließen ihn dann wie so viele politische Aufrührer kreuzigen.
Die Frage der Gewalt ist für Aslan entscheidend für die Identität Jesu: Wenn er Gewalt billigte, dann war er Zelot und nicht der „friedliebende“ Jesus des Christentums. Jesus billigte laut Aslan die Gewalt. Als Beleg zieht er eine bekannte Bibelstelle heran: In Matthäus 10,34 sagt Jesus, er sei nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Und Gebote wie die Feindesliebe habe Jesus nur auf Juden, nicht aber auf andere bezogen. Das sei bereits in der Thora so gemeint gewesen, erklärt Aslan, und Jesus stelle sich in diese Tradition.
Das aber ist schlicht falsch. Die Thora enthält Gebote, die im Interesse des Fremdlings stehen. Vor allem soll nach 3. Mose 19,34 der Fremde genauso behandelt werden wie Einheimische. Und Matthäus 10,34 kann meinen, dass mit Jesu Wirken noch nicht der universale Friede anbricht, sondern dass sich die Geister an seiner Person scheiden. Darüber hinaus: In welcher Höhle versammelte Jesus seine bewaffneten Anhänger, um die römischen Truppen zu überrumpeln?
Ein Vers, den Aslan selbst anführt, legt nahe, dass Jesus das „Reich Gottes“ nicht mit Gewalt herbeiführen wollte. Er sah es bereits dann verwirklicht, wenn Heilung von Gebrechen oder dämonischer Besessenheit geschieht: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Lukas 11,20). Das eben ist ein Aspekt, der Jesus von anderen „Messiassen“ unterschied: Sie vollbrachten Wunder, um Anhänger zu gewinnen und dann das Reich Gottes mit Gewalt zu errichten. Jesus sah bereits in den Wundern den Anbruch des Reiches Gottes.
Evangelien mit Eigeninteresse
Doch das herausragende Merkmal am Leben Jesu ist dessen Auferstehung. Für Aslan ist sie „jenseits des historischen Spektrums“. „Historisch“ sei nur der Fakt, dass die Jünger und später Paulus an den Auferstandenen glaubten. Mit diesem Glauben hätten sie die Enttäuschung über seinen Tod kompensiert, die eigentlich das Scheitern der Jesus-Bewegung bedeutete. Die Umdeutung konnte nur gelingen, so Aslan, weil die Jünger ebenso wie deren Anhänger theologisch ungeschult waren. Hätten sie die Schriften der Juden gut gekannt, hätten sie Jesus nicht als auferstandenen Messias verkündigt. Warum dann aber der Pharisäer Paulus, ein geschulter Theologe, deren Botschaft plausibel finden konnte, erklärt Aslan nicht. Das Bekehrungserlebnis tut er als „Propaganda“ des biblischen Autors Lukas ab, der von dem „Damaskus-Erlebnis“ berichtet.
Die Schreiber der Evangelien, angefangen mit Markus, zeichneten dann Jahrzehnte später ein bewusst falsches Bild von Jesus, erklärt Aslan. Anlass war die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70, etwa dem Zeitpunkt, als das Markus-Evangelium verfasst wurde. Um selbst der Vergeltung Roms zu entgehen und Bürger des römischen Reichs für sich zu gewinnen, grenzten sie sich von der so dramatisch gescheiterten jüdischen Unabhängigkeitsbewegung ab. Also entfernten sie alle Hinweise, die Jesus in Verbindung mit dem Zelotentum und den Möchtegern-Messiassen brachten: Jesus ist ein Prediger des Friedens und sein Reich ist gar nicht von dieser Welt, schreibt Aslan.
Bibelstellen zurechtgelegt
Aslan argumentiert hier wieder mit historischen Ungenauigkeiten, etwa wenn er behauptet, dass erst mit der Zerstörung des Tempels der Gedanke aufkam, Jesus habe diesen ersetzt. So ein Gedanke findet sich bereits bei Paulus, der sogar sagt, dass die Leiber der Christen Tempel des Heiligen Geistes seien (1. Korinther 6,19).
Der bekennende Muslim brilliert mit der Darstellung der politischen Umstände zur Zeit Jesu. Seine Kernthese – Jesus war ein Zelot – überzeugt nicht, weil sich Aslan die Bibelstellen zurechtlegt. Darum läuft seine Darstellung der politischen Umstände eigentlich auf diese Pointe hinaus: In einem Klima messianischer Erwartungen wurde Jesu Botschaft im Sinne der Zeloten verstanden und damit missverstanden. Aber diesen Gedanken erwägt Aslan nicht.
Einige Pauschalisierungen machen Aslans Buch dann aber endgültig nicht empfehlenswert: Wenn er Christen vorhält, sie redeten von Jesus als „unbeteiligten, himmlischen Geist, dem weltliche Dinge völlig egal sind“ oder dass für Christen, die Jesus als „Sohn Gottes“ betrachten, das Judentum keine Rolle spiele. Gehört haben mag er dies in jenem christlichen Ferienlager, das er als Jugendlicher besucht hat und das zu seiner zwischenzeitlichen Wende zum Christentum führte. Mehrheitsmeinung im Christentum ist dies aber sicher nicht. (pro)
Reza Aslan, „Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit“, Rowohlt, 384 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-498-00083-7
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