„Wir fangen wieder bei null an“

Nachdem der Taifun „Haiyan“ am Freitag über den Philippinen wütete, ist die Lage in den betroffenen Gebieten immer noch sehr schwierig: Leichen liegen herum, es gibt kaum zu Essen und sauberes Wasser. „Es ist dramatisch, diese Hoffnungslosigkeit zu sehen“, sagt Annelie Haack. Sie ist mit der Hilfsorganisation Hoffnungszeichen vor Ort. Für pro berichtet sie von ihren Eindrücken.
Von PRO
Nach "Haiyan": Zwei Männer vor den Trümmern eines Hauses

„Es war, als donnerte ein Flugzeug direkt über ihre Köpfe hinweg. Zusammengekauert saßen seine Frau und die fünf Töchter unter einem Tisch, während alles um sie herum zusammenbrach, berichtete mir Reverend Alcan Caparro von der Iglesia Pilipina Independiente (Unabhängige Philippinische Kirche). Sie überlebten ‚Haiyan‘. Ein Wunder. Das ganze Haus liegt völlig in Trümmern, nur die Ecke, in der sie Schutz gesucht hatten, steht noch. ‚Tacloban ist eine Geisterstadt. Es gibt dort nichts mehr‘, sagt er. Er selbst ist aus dem benachbarten Pawing Palo.
Ich bin unterwegs mit der Organisation Hoffnungszeichen, um akute Nothilfe auf den Philippinen zu leisten. Seit gestern Nacht sind wir in Cebu und versuchen nun die Lage einzuschätzen um zu sehen, wie und wo wir am besten und schnellsten helfen können. Cebu ist auch von dem Taifun betroffen. Ein Evakuierungszentrum stürzte ein und begrub 1.000 Menschen unter sich. Trotzdem wird Cebu im Moment als Organisationszentrum genutzt, gibt es hier doch einigermaßen bestehende Strukturen und Möglichkeiten, Hilfsgüter einzukaufen. Doch auch die werden langsam knapp. Überall ist die Katastrophenhilfe präsent. Auf den Straßen sammeln Studenten Lebensmittel ein und verladen sie auf LKW. Die Straßen und Wasserwege zu den Katastrophengebieten sind langsam wieder befahrbar. Die Hilfe muss jetzt schnell und unkompliziert geschehen.

‚Einfach weiterdenken‘

‚Die Menschen haben Hunger. Hunger und Hunger‘, sagt Reverend Caparro. Wer den Taifun erlebt hat, ist zudem traumatisiert. Hilflos und ohne Perspektive stehen die Menschen auf der Straße. Um sie herum lauter Leichen, deren starker Geruch das Atmen schwer macht. Wo sollen die Überlebenden jetzt hin? Wie kann es weitergehen? Einige fliehen in Großstädte wie Manila oder Cebu. Was sie dort erwartet, ist oft ein perspektivloses Leben in den Armenvierteln. In Tacloban lebten viele Bauern, die kleine Plantagen mit Kokosnüssen bewirtschafteten. Sie besitzen Fähigkeiten, die ihnen in den großen Städten nicht weiterhelfen werden. Es wird Jahre dauern, bis die zerstörten Städte wieder das sind, was sie einmal waren. Vor allem aber für die Menschen ist dies ein langer Weg. Innerhalb von Minuten wurden Existenzen zerstört, Familien auseinandergerissen und Tausende getötet.
Noch sind nicht alle Leichen geborgen, noch werden Freunde, Geschwister, Eltern oder Kinder vermisst. ‚Es tut so weh, wenn ich die Menschen dort sehe. Niemand weiß, wie es weitergehen soll. Wir fangen wieder bei null an. Wo sollen wir beginnen?‘ Reverend Caparro stellt sich diese Frage immer wieder. Eine Antwort gibt es nicht, klar ist nur: es muss weitergehen. Er wird seine Kinder nach Manila bringen, dort können sie wenigstens zur Schule gehen. Und er will ein Haus bauen in Tacloban, von welchem Geld und woher er das Material nehmen soll, weiß er nicht. Aber einfach weiterdenken und nicht zurück, das tut weniger weh.
‚Haiyan‘ ist nur eine von mehreren Naturkatastrophen innerhalb der letzten Wochen. Wenige Tage vor dem Taifun fegte ein Tornado über die Inseln und erst vor Kurzem bebte die Erde – etwas stärker als auf Haiti 2010. Dabei kamen über 110 Menschen ums Leben. Die Schäden davon erschweren die Hilfskoordination in Cebu, weil auch Krankenhäuser betroffen sind. Mein Kollege und ich werden morgen mit der Fähre nach Maasin übersetzen und einen Generator für ein Krankenhaus übergeben, um dort die Stromversorgung abzusichern. Wenn es klappt, reisen wir weiter nach Tacloban. Hoffnungszeichen hat 10.000 Euro Soforthilfe zur Verfügung gestellt, von denen Lebensmittel und Trinkwasser in den betroffenen Gebieten gekauft werden. Wichtig ist, den Menschen jetzt zu zeigen, dass sie in ihrem Leid nicht allein und nicht vergessen sind.“ (pro)

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