Der dritte Teil seiner Biographie beginnt chronologisch mit dem Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis. Küng beschreibt, wie ihn loyale Mitstreiter und die Basis weiterhin unterstützen, gute Freunde aber trotzdem zur Rarität werden. Das „auf Eis legen“ von unangenehmen Angelegenheit innerhalb der Kirche empfindet er als eine beliebte Maßnahme kirchlicher Repression. Auch viele seiner Schüler stünden in der Dialektik von kirchlicher Anfeindung und wissenschaftlicher Anerkennung. Küng sieht sich verwurzelt in der Kirche Jesu Christi, aber weiterhin hierarchiekritisch.
Bischöfliche Fehlbesetzungen
Auch die folgenden Kapitel betonen Küngs Verwurzeltsein in der Kirche, gepaart mit einer grundsätzlichen Offenheit für andere. Sein Ziel sei es, sich nicht von bestimmten Kirchenführern treiben zu lassen, und gerade in ökumenischen Fragen eine Horizonterweiterung zuzulassen. Seine Hoffnung auf die „Einheit in Vielfalt der Kirchen“ wolle er nicht einem „eher konservativen Clan von vatikanischen Hoftheologen überlassen“.
Der Leser erhält einen Überblick über die Schaffenskraft Küngs: egal ob das Thema „Religion und Musik“ lautete oder ob er sich in einer Trilogie mit der religiösen Situation der Zeit beschäftigte, in denen er seine Standardwerke über das Judentum (1991), das Christentum (1994) und den Islam (2004) verfasste. Küng betrat gerne wissenschaftliches Neuland, auch wenn dies mit vielen Mühen und menschlichen Enttäuschungen verbunden war.
Schuldbekenntnis fällig
Geprägt hat ihn auch seine Zeit als Professor in den USA. Hier musste er erleben, wie hoch qualifizierte, aber kritische Leute keine Karriere machen konnten. Er entwickelte Dialogvorlesungen über Islam, Hinduismus und Buddhismus und war der festen Überzeugung, dass zur Dialogbereitschaft auch Standfestigkeit gehörte. Weil Religion nur schwer aus Büchern zu lernen sei, gehörten Reisen zum festen Bestandteil seiner wissenschaftlichen Arbeit. Trotz vieler Reisen, von denen im gesamten Buch die Rede ist, schreibt Küng, wie wichtig für ihn die Rückkehr in die Heimat und das gewohnte Umfeld war.
Ein Kapitel widmet der Autor auch dem Judentum und dem Nahost-Konflikt. Küng benennt, was eint und was zusammenführen könnte, betont aber auch, dass es weder unschuldige Religionen noch Nationen gibt. Gerade im Nahost-Konflikt könne nur ein fairer Friede die vorhandene Angst nehmen. Interessant sind Küngs Berichte von seinen Reisen nach Australien und Afrika, in denen er Geisterkulte erlebt hat. Küng prangert hier das historische Versagen der Kirche an und vermisst in vielen Fällen ein fälliges Schuldbekenntnis.
Immer wieder betont Küng, dass ein Weltfriede nur im Einklang mit einem Religionsfriede möglich sei. Für keine andere wissenschaftliche Erklärung habe er soviel Mühe aufgebracht wie für die Weltethos-Erklärung. Darin ist der Grundbestand an ethischen Normen formuliert, den die Weltreligionen und die großen historischen Kulturräume teilen. Vor allem die Ereignisse am 11. September 2001 hätten eine „Globale Agenda für den Dialog der Kulturen“ notwendig gemacht. Leider sei es aus Küngs Sicht zu einem „Rückfall ins konfrontative Paradigma der Weltpolitik“ gekommen.
Riesenenttäuschung Ratzinger
Ein langes Kapitel widmet Küng auch einer möglichen Kirchenreform. Diese betreffe immer sowohl Fragen der praktischen Reform als auch des christlichen Glaubens. „Eine schriftbezogene und zeitgemäße Theologie findet heute noch Anklang bei den Menschen“, schreibt Küng. In einem Kapitel benennt er elf konkrete Punkte, in denen er Widersprüche im Handeln des Papstes sieht. Auch die offenen Briefe an die Kardinäle und Bischöfe zur Papstwahl, in denen er seine Bitten formuliert, hat er zum Bestandteil des Buches gemacht.
Eine Riesenenttäuschung ist für ihn die Wahl Josef Ratzingers: Zwar sei dieser in einen Dialog mit ihm als Kirchenkritiker eingetreten. Die kurzfristige römisch-katholische Begeisterung über den neuen Papst habe aber langfristig kaum positive Auswirkungen gehabt. Küng wünscht sich, dass die Menschen der katholischen Kirche langfristig wieder vertrauen können und dass diese dafür ein überholtes System um ihrer eigenen Zukunft willen aufgebe. Norm für die Kirche könne einzig Jesus Christus sein.
Das letzte Kapitel des Buches widmet Küng dem letzten Kapitel des Lebens: dem Sterben. Küng beschreibt nüchtern, wie er zunehmende körperliche Defizite verkrafte. Dankbar ist er für alle erlebte Menschlichkeit und den Rückhalt in der eigenen Familie. Er selbst möchte gerne geistlich getröstet und begleitet in seiner vertrauten Umgebung sterben, inspiriert von der Botschaft der Auferweckung Jesu Christi. Die Wahl von Papst Franziskus betrachtet er als Hoffnungssignal. Für Küng ist aber auch am Ende seines Lebens klar, dass kein Überleben „unseres Globus in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ohne ein globales Ethos, ein Menschheitsethos, ein Weltethos“ möglich sei.
Doppelt aufgeklärter Glaube
Er empfiehlt den folgenden Generation einen doppelt aufgeklärten Glauben, der auch über die Aufklärung, ihre Möglichkeiten und Grenzen aufgeklärt ist. Für ihn ist dies ein Glaube, der mit guten Argumenten einladen will: „Wenn ich mich auf Gott verlasse, halte ich mich frei gegenüber allen endlichen Mächten und Instanzen“. Trotz vieler wissenschaftlicher Sachverhalte und seiner 700 Seiten bleibt das Buch lesenswert. Küng schreibt über Enttäuschungen, seine eigenen Grenzen und wie er sie zu überwinden versucht und gewährt einen – oft zu detaillierten Einblick – in seinen Umgang mit den anderen Religionen. Es überrascht nicht, dass das Buch eines Mannes mit vielen Fragen auch mit einer Frage aufhört: nämlich der, wie es am Ende des Lebens weitergeht. (pro)