Christen, die evangelikal geprägt seien, beschäftigten sich zu sehr mit sich selbst, sagte Diener bei einem Seminar während der Allianzkonferenz. Mit christlichen Kindergärten, Schulen und Medien sowie den regelmäßigen Verpflichtungen in der Gemeinde hätten sich viele evangelikale Christen einen „geistlichen Speckgürtel“ zugelegt. „Wir erliegen zunehmend der Gefahr, Sonderwelten entstehen zu lassen und vom Leben der Welt nichts mehr mitzubekommen.“ Gleichzeitig gebe es viele innere Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen und Strömungen, die für Außenstehende nicht nachvollziehbar seien.
Was „evangelikal“ ist, sei vielfältig, erklärte Diener. In Deutschland gebe es etwa 1,2 Millionen Evangelikale. Die Gruppe von Charismatikern und Pfingstlern sei mittlerweile am größten. Ebenso gehörten Fundamentalisten dazu. „Fundamentalismus ist für mich kein Schimpfwort“, sagte Diener. Der Begriff beziehe sich auf bestimmte Gruppe von Evangelikalen, die ihre Überzeugung sehr absolut verträten. Daneben gebe es Evangelikale, die stark vom Einheitsgedanken der Christen geprägt seien, sowie die wachsende Gruppe der Post-Evangelikalen. Dazu gehörten vor allem junge Menschen, die zwar in einem evangelikalen Spektrum aufgewachsen seien, aber mit den klassischen Formen einer „Gemeinde für alle“ nichts mehr anfangen könnten. Sie seien stark in ihrem sozialen Milieu verhaftet und suchten neue Modelle, um den Glauben im Alltag zu leben. Theologisch seien sie eher pluralistisch orientiert und würden nicht akzeptieren, dass es zu bestimmten Themen nur eine einzige richtige Meinung gebe.
Ohne Training vom Glauben sprechen
Wie Diener ausführte, gebe es zwischen den evangelikalen Gruppierungen auch verschiedene Auffassung darüber, wie sie andere Menschen für den christlichen Glauben gewinnen sollten. Während „klassische“ Evangelikale vor allem auf Evangelisation setzten, spiele für Post-Evangelikale soziales Engagement eine wichtige Rolle. Diener plädierte dafür, die unterschiedlichen Herangehensweisen nicht gegeneinander auszuspielen. „Wort und Tat gehören beim christlichen Zeugnis zusammen.“ Entscheidend sei ein christlicher Lebensstil, der von Liebe geprägt ist.
Das bedeute auch, dass sich Gemeinden nicht mehr vor allem mit sich selbst beschäftigen, sondern zu den Menschen in der Welt gehen sollten. So könnten sie „Salz und Licht der Welt sein“ und ihr auf diese Weise dienen. „Die Programme unserer Gemeinden dienen oft nur der eigenen geistlichen Ertüchtigung. Aber wann waren das letzte Mal Fremde da?“, fragte Diener. „Was nützt eine christliche Volleyballgruppe, wenn dann doch nur die Frommen miteinander spielen? Wir brauchen eine ganz natürliche Kompetenz, mit Menschen zu leben und zu reden, damit Glaube nicht aufgesetzt ist. Lasst uns überzeugt einen anderen Gesellschaftsentwurf leben. So etwas wird gesehen.“ Wer das lebe, was er von Gott geschenkt bekomme, der müsse nicht trainieren, mit Nichtchristen in Kontakt zu kommen.
„Evangelikale brauchen sich“
Diener ermutigte dazu, die Bibel neu und ohne fertige gedankliche Schubladen zu lesen. Dann könne man beispielsweise entdecken, welche große Rolle das Thema soziale Gerechtigkeit darin spiele. Zu einem ganzheitlichen Glauben gehöre auch Gastfreundschaft „mit den Menschen unserer Zeit“. Christen sollten sich nicht darüber beklagen, dass die Werte des christlichen Abendlandes immer unwichtiger würden und wie schwierig alles sei. „Lasst uns die Zeit annehmen, sie ist Gottes Zeit. Und lasst uns die Menschen so annehmen, wie sie sind, wir haben keine anderen.“
Evangelikale müssten anerkennen, dass sie eine gesellschaftliche Minderheit seien. Umso mehr bräuchten sie sich gegenseitig. (pro)