„Redner der Republik“: Walter Jens ist gestorben

Am Sonntag ist der Tübinger Altphilologe Walter Jens im Alter von 90 Jahren verstorben. Schon vor Jahren zog sich der gläubige Christ wegen seiner Demenzerkrankung aus der Öffentlichkeit zurück.
Von PRO

Wie der Sohn Tilman Jens bestätigte, sei sein Vater in Tübingen verstorben, wo er emeritierter Ordinarius der Eberhard-Karls-Universität war. Jens litt seit mehreren Jahren an Demenz und konnte inzwischen nicht mehr eigenständig essen und trinken. Seine Ehefrau Inge Jens hatte in der Vergangenheit sehr offen über die Krankheit ihres Mannes gesprochen, um die Gesellschaft für die Problematik zu sensibilisieren.

Walter Jens war Literaturhistoriker, Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer. Er galt als einer der „großen Intellektuellen“ und als „Meister des geschliffenen Wortes“ der Bundesrepublik Deutschland, wie es in der Tageszeitung Die Welt heißt. Er war Ende der 1970er Jahre Präsident der Schriftstellervereinigung P.E.N. und darüber hinaus in den 1990er Jahren Präsident der Akademie der Künste in Berlin.

Walter Jens als „moralische Instanz“

Häufig wurde er in Anlehnung an den streitbaren Geist im Frankreich des 18. Jahrhunderts als „kleiner Voltaire der Bundesrepublik“ bezeichnet. Er ist zu Lebzeiten immer wieder für eine offene Streitkultur in Deutschland eingetreten. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) honorierte ihn zum 85. Geburtstag als „moralische Instanz“. Ebenso galt er als engagierter Demokrat.

Jens war gläubiger Protestant. Seit 1972 hat er immer wieder Texte aus dem Neuen Testament in eine zeitgemäße Sprache übersetzt. So war es ihm beispielsweise ein Anliegen, im Matthäus-Evangelium „die sozialkritische und sozialutopische Komponente“ zum Ausdruck zu bringen.

Eintreten für die Schwachen

Wie der katholische Professor Karl-Josef Kuschel 2008 in der Biografie „Walter Jens. Literat und Protestant“ schrieb, habe Christsein für Jens vor allem eine Bedeutung gehabt: sich auf die Seite der Mühseligen, Beladenen und Verfolgten schlagen. Gezeigt habe er dies, als er unter anderem 1990 amerikanische Soldaten aus dem Golfkrieg, Deserteure, in seinem Haus versteckte. Einst sagte er: „Wir sprechen zu häufig von dem Herrn in der Glorie, und zu wenig von dem Angefochtenen, der, wie wir alle, große Angst gehabt hat. Ein Jude, der einen gelben Fleck getragen hätte, der in Auschwitz auf der Seite der Gefolterten dabei gewesen wäre.“

Im Jahr 1923 wurde Jens als Sohn eines Bankdirektors und einer Lehrerin in Hamburg geboren. Aufgrund eines Asthmaleidens wurde er nicht in den Kriegsdienst berufen. An den Universitäten Hamburg und Freiburg studierte er von 1941 bis 1945 Philologie und Germanistik. Im Jahr 1950 stieß er zur Gruppe 47, einer Schriftstellervereinigung um Hans Werner Richter. Zur gleichen Zeit gelang ihm der Durchbruch mit seinem utopischen Roman „Nein. Die Welt der Angeklagten“. Von 1965 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1988 hatte er den Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen inne. Dieser wurde eigens für ihn eingerichtet.

In Kritik jedoch geriet Jens vor rund zehn Jahren. Im Jahr 2003 tauchten Akten auf, in denen Jens seit 1942 als NSDAP-Angehöriger aufgeführt wurde. Der Philologe stritt jedoch ab, jemals einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt zu haben. (pro)

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