Der Freiheitskämpfer

Jesus ist nicht von den Toten auferstanden. Engel, Teufel? Gibt es nicht. Wunder Jesu? Fromme Legenden. Das meinen nicht nur Atheisten – sondern auch viele Theologen. Für den Neutestamentler Klaus Berger ist dies der Grund, in einem wütenden Buch mit den Positionen seiner Kollegen abzurechnen. Ein Besuch bei einem Rebellen.
Von PRO

Ruhig sitzt Klaus Berger in seinem hellen Sessel mit Floralmuster, das Gesicht fast regungslos. Der 72-jährige Theologe trägt einen Pullover mit grau-weißen Streifen, darunter ragt der Kragen seines blau-weiß gestreiften Hemdes hervor. Ein Rebell sieht anders aus. Doch aus Sicht seiner „Gegner“, wie er die Mainstream-Theologen in seinem neuen Buch nennt, ist er genau das. Ganze 72 Mal widerspricht er in „Die Bibelfälscher“ den gängigen Forschungsmeinungen. Sein Werk will er als „Aufschrei“ verstanden wissen. Als Protest gegen die „Zerstörung“ der Heiligen Schrift, die eine „volkskirchliche Wüste“ hinterlassen habe. Steht es wirklich so schlecht um die Theologie?

Schätze bewahren

In Bergers Wohnung in der Heidelberger Weststadt wimmelt es von Schätzen aus der Vergangenheit. Er liebt seine Bücher, die in mehreren Räumen eine umfangreiche Bibliothek ergeben. An seinem hölzernen Stehpult aus dem 18. Jahrhundert liest er sie am liebsten. Besonders haben es ihm  äthiopische Handschriften angetan. „Ich versuche, alle auf dem Markt verfügbaren Stücke aufzukaufen, damit sie wenigstens erhalten bleiben.“ Berger greift nach einem großen, mit braunem Leder eingebundenen Buch und öffnet es. Rosafarbene Stoffstücke verhüllen die Seiten. Behutsam hebt Berger das Gewebe an. Darunter erscheinen die farbenfrohen Zeichnungen von drei identisch aussehenden Männern: Dreifaltigkeit auf Äthiopisch. „Wenn man den Text auf der linken Seite liest, bleibt das Bild auf der rechten Seite verhüllt. Der Stoff soll die Farben schützen“, erklärt der Theologe. Allzu starkes Sonnenlicht lässt die Farben verblassen.

Strahlkraft – fehlt das der Theologie unserer Tage? Aufklärung heißt „Enlightenment“ auf Englisch, „Erleuchtung“. Zwar habe die Bibelforschung durch sie einige „lichte Erkenntnisse und einen Zuwachs an Wissen“ erfahren, schreibt Berger. Allerdings habe die „wild gewordene Aufklärung“ auch zu „haarsträubenden Denkverboten“ geführt, zu „vorauseilender Ignoranz und philosophischen Moden, die ans Märchenerzählen grenzen“. Der Mensch gewordene Gott – Jesus Christus – sei „aus dem kollektiven Bewusstsein gelöscht“ worden. Übrig geblieben sei ein „sanftmütiger, Sandalen tragender Wüsten­prediger mit unerheblichen Alltagsweisheiten“. Für Berger ist das ein „Skandal“, eine „Geschichte der Selbstverleugnung und des Abschieds vom Gottesglauben“.

„Liberaler Fundamentalismus“

Es gehe um nicht weniger als um die Entkernung des Christentums. Das, was viele Christen als das Zentrum ihres Glaubens sehen, leugne die Mainstream-Exegese größtenteils. Das sei der Grund, warum die Theologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen „Sozialismus, Maoismus, Öko-Pazifismus, Feminismus und grundlegender Staatskritik sowie diversen Spielarten der Befreiungstheologie hin- und hergeworfen“ gewesen sei, erklärt Berger. Eine wichtige Rolle spiele dabei der „Ostergraben“, der Abstand zwischen dem „historischen“ Jesus – also dem tatsächlichen – und dem „nachösterlichen“. Alle übernatürlichen Berichte über Jesus seien spätere Hinzudichtungen der jungen Kirche gewesen, meinen Bergers „Gegner“. Eine leibliche Auferstehung von den Toten habe es nicht gegeben, ebenso wenig wie die etlichen Wunder, von denen die Evangelisten erzählen. Die Frage drängt sich auf, warum ausgerechnet Theologen nicht daran glauben, was in der Bibel steht. Für Berger ist die Antwort klar: „Liberale Theologen machen die Physik des 19. Jahrhunderts fundamentalistisch zum Maßstab. Alles, was nicht kausal erklärbar ist, ist in deren Augen ersponnen.“ Er ergänzt: „Es gibt viele Leute, die als gläubige Christen anfangen, aber dann durch das Theologiestudium ihren Glauben aufgeben. Und dann ersetzen sie ihn durch eine dieser modernen Ideologien wie Feminismus, Ökologie und so weiter.“
Es sind Momente wie dieser, in denen der Professor auf seinem Sessel nach vorne rutscht, seine Stimme anhebt und beidhändig gestikuliert. Die Leichtfertigkeit, mit der seine Kollegen im Neuen Testament „systematisch alles Porzellan zerschlagen“, lässt ihn auch noch nach Jahrzehnten nicht kalt. Gott werde ein „Maulkorb und Handschellen“ angelegt und er werde auf seine Rolle als Schöpfer reduziert. Irgendwann, am Anfang der Zeiten, habe er die Weltgeschichte angestoßen – und seitdem nicht mehr eingegriffen. Alles, was darüber hinausgeht, sei in den Augen seiner „Gegner“ nicht denkbar.

Berger schaut ins Leere. Das Pendel der großen dunklen Standuhr schwingt hin und her. Ansonsten Stille. Im Kopf des Professors rattert es unentwegt. 15 Pendelschwünge können lang werden. Dann kommt ihm doch noch der Satz über die Lippen, der sein Verhältnis zur liberalen Theologie ausdrückt: „Den Neuprotestantismus habe ich als Verrat an der Kirchengeschichte und am Evangelium erfahren.“ Vertreter dieser Richtung – und das sei die Mehrzahl – würden nur das aus der Bibel herauslesen, was ihrer Meinung nach „darin zu stehen hat“. Sein Anliegen bezeichnet er als einen „Kampf gegen den Zeitgeist und gegen das Verhökern von Schätzen der Spiritualität aus dem eigenen Haus“.

Zum Beispiel würden einige Exegeten über den Knaben des römischen Hauptmanns sagen, das sei sein Sexualpartner gewesen. – „Weil es eben sein ‚Knabe‘  war.“ Man könne das griechische Wort „pais“ zwar auch mit „Kind“ oder „Sklave“ übersetzen, allerdings legten viele Theologen Wert darauf, „dass sie sexuelle Minderheiten im Neuen Testament wiederfinden“, meint Berger. „Und in diesem Falle den pädophilen Hauptmann.“ Berger seufzt, hat ein ungläubiges Lächeln aufgesetzt. „Das ist jetzt keine absichtliche Verzerrung, sondern nur ein gravierender Mangel an einer Stelle, die peinlich ist und unmenschlich.“

„Ich werde de facto nicht akzeptiert“

Es ist nicht das erste Mal, dass Berger mit seinen Ansichten aneckt. Genau genommen ist sein akademisches Leben von Provokationen geprägt. Allein seine konfessionelle Zugehörigkeit hatte für einigen Wirbel gesorgt. Berger spricht von „Rausschmeißaktionen“: „Ich bin aus der katholischen Kirche geschmissen worden, weil ich angeblich häretisch war, also irrgläubig. Und weil ich behauptet habe, Jesus hätte das jüdische Gesetz nicht zerstört, sondern erfüllt. Daraufhin konnte ich nicht Priester werden und auch keine weitere Laufbahn als Theologe einschlagen. Das war Zustand der katholischen Kirche von 1967.“ Später habe sich dann herausgestellt, dass seine angebliche Häresie gegen die katholische Kirche gar keine gewesen sei. Dass Jesus das Gesetz erfüllt habe, fand sogar Eingang in den Katechismus der Katholischen Kirche. Doch zunächst musste sich der junge Theologe umorientieren. Er nahm einen Lehrauftrag an der theologischen Fakultät in Leiden in den Niederlanden an. „Denen war völlig egal, ob ich Calvinist oder Lutheraner oder katholisch war.“ Das scheint Berger beeindruckt zu haben. Bei aller Kritik, die er an den theologischen Inhalten Andersdenkender übt, will er ihnen nicht den Mund verbieten, im Gegenteil: „Es kommt auf die Weite des Herzens an. Ich plädiere für eine Freiheit der Hypothesenbildung und Freiheit der Forschung, unabhängig von irgendeiner Dogmatik.“ Er selbst werde „de facto nicht akzeptiert von Vielen, weil meine Thesen zum Teil neu sind, und zum Teil kommen sie ihnen zu konservativ vor“. Manche alten Positionen würden in seinen Büchern bestätigt. Zum Beispiel, dass die Pastoralbriefe – die Timotheusbriefe und der Titusbrief – tatsächlich von Paulus geschrieben seien: „Das ist in der liberalen Forschung seit 1850 nicht mehr möglich anzunehmen.“

Katholisch oder evangelisch?

Schließlich wurde Berger doch noch Professor an einer deutschen theologischen Fakultät. Allerdings an einer evangelischen, in Heidelberg. Zu dem Zeitpunkt gingen die Meisten davon aus, dass Berger nun Protestant sei. Doch wie 2005 herauskam, hatte der Theologe zwar evangelische Kirchensteuer gezahlt, sei aber nie aus der katholischen Kirche ausgetreten. 2006 wurde Berger pensioniert. Für seine Kollegen in Heidelberg hat er wenig Lob übrig. „Ich bin angeblich zu katholisch gewesen. Obwohl sich kein Student und kein Vikar je beschwert haben. Und obwohl ich 60 Leute hier promoviert habe.“ Trotzdem habe er keine Wertschätzung dafür erfahren. „Sie fanden meine Arbeit immer widerborstig, weil sie eben nicht neu-protestantisch war. Ich habe die Fakultät seit meiner Pensionierung nicht mehr betreten.“

In Bergers Wohnzimmer hängen einige Gemälde. Die meisten zeigen deutsche Naturlandschaften. Auf einem fließt ein Bach durch einen Wald. „Ohne das Reh wäre es wahrscheinlich schöner gewesen. Aber die Leute wollen das eben so.“ (pro)

Dieser Artikel erschien im Christlichen Medienmagazin pro, Ausgabe 2/2013. Kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.

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