Fachjuristen: Kein Schutz religiöser Gefühle

Religiöse Gefühle genießen keinen grundrechtlichen Schutz. So lautet das Fazit von Rechtsexperten bei der 113. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit beim Bayerischen Rundfunk am vergangenen Wochenende in München.
Von PRO
Zwei Tage lang diskutierten Medienjuristen, Richter, Hochschullehrer und Anwälte über das Spannungsverhältnis zwischen den Grundrechten auf Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Im Zentrum stand die Frage, wie der Staat beide Verfassungsrechte gleichzeitig garantieren kann. Der Staat müsse die Ausübung der Religionsfreiheit als Grundrecht schützen. Aber der säkulare Staat schütze weder den Namen Gottes vor Verunehrung noch die Religion als solche.

Prominentestes Beispiel aus jüngerer Zeit sind die Mohammed-Karikaturen, die die dänische Zeitung Jyllands-Posten im Jahr 2005 veröffentlichte. Der Abdruck führte in vielen, vor allem muslimisch geprägten Ländern zu Demonstrationen und Ausschreitungen und löst weltweit eine Diskussion über Pressefreiheit aus.

In einer pluralistischen Gesellschaft muss es jeder Bürger hinnehmen, mit Meinungen konfrontiert zu werden, die von seiner eigenen Anschauung abweichen, auch wenn diese in pointierter Form vorgetragen werden. Einen Konfrontationsschutz kann es im Interesse einer freien öffentlichen Meinungsbildung nicht geben“, resümiert Prof. Dr. Albrecht Hesse, Chefjustitiar und stellvertretender Intendant des Bayerischen Rundfunks.

Der 1956 gegründete Studienkreis für Presserecht und Pressefreiheit hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf regelmäßigen Tagungen die Grundlagen von Presserecht und Pressefreiheit zu besprechen und für deren Schutz einzutreten. Der Studienkreis zählt heute rund 300 Mitglieder und Freunde.

Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) am heutigen Mittwoch berichtet, lautete ein Fazit der Juristen, dass sich der früher so genannte „Gotteslästerungs-Paragraf“ 166 Strafgesetzbuch, der Religionsbeschimpfungen verbietet, heute als leere Hülle erweise. Lediglich sechs Verurteilungen habe es im Jahr 2011 gegeben. Der Paragraf stellt unter Strafe, „wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Das Amtsgericht Tiergarten hatte im vergangenen Jahr entschieden, dass die katholische Kirche „Kinderficker-Sekte“ genannt werden darf. Diese Bezeichnung störe den „öffentlichen Frieden“ nicht.

Dass die Vorschrift kaum angewandt werde, sei „ein gutes Zeichen für die Moral der Richter“, sagte Winfried Hassemer, ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, laut der SZ. Der Staatsrechtler Josef Isensee äußerte sein Unbehagen am schwach ausgeprägten Religionsschutz und erinnerte an das T-Shirt einer Punkband, das ein gekreuzigtes Schwein und die Aufschrift INRI zeigte. Er erinnerte zudem an jene Feministinnen, die bei einem Papstbesuch 1987 aus Kritik an der katholischen Sexualmoral Hostien nach dem Papst warfen und bezeichnete dies als "widerwärtig". Der Staatsrechtler wolle „exzessive Geschmacklosigkeiten“ unterbinden, indem er den Schutz der „öffentlichen Ordnung“ ins Feld führe. Er nannte als weitere Beispiele eine anti-islamische Demonstration vor einer Moschee während des Freitagsgebets und eine Konfrontation der Fronleichnamsprozession mit dem Christopher Street Day.

Auch das „Punkgebet“ der russischen Band „Pussy Riot“ war Thema der Tagung. Der Mainzer Professor Matthias Cornils schloss nicht aus, dass dies auch nach deutschem Recht den Tatbestand des „beschimpfenden Unfugs“ erfüllt hätte. Die drakonische Strafe von zwei Jahren Lagerhaft zeuge von einer wachsenden Unterdrückung Andersdenkender in Russland, sagte Cornils. Verfassungsrichter Johannes Masing warnte vor der Revitalisierung unscharfer Begriffe wie dem „öffentlichen Frieden“: „Der öffentliche Friede ist ein Begriff, der schnell entgleitet“, sagte Masing. (pro)
http://www.studienkreis-presserecht.de/main/start.htm
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