„Ich kann mir einen vitalen, leistungsfähigen Parlamentarismus ohne vitale, leistungsfähige Medien nicht vorstellen“, sagte Lammert. Zwar gebe es einen medialen Druck auf Abgeordnete und er sei auch nicht immer mit dem einverstanden, was geschrieben werde, aber er könne damit leben. Über politische Geschehnisse informiere er sich teilweise über die Medien, bevor er Bundestags-Drucksachen lese.
Beim Thema Bürgerbeteiligung sagte Lammert, dass sich bei Plebisziten, etwa Volksabstimmungen, nicht automatisch mehr Bürger beteiligen. Seien die Bürger von einem Thema nicht unmittelbar betroffen, stimmten sie bei Bürgerentscheiden oft gar nicht ab.
Die Frage, ob Parlamentarier gelegentlich mit dem hohen Tempo von Entscheidungsfindung überfordert sind, beantwortete der Bundestagspräsident: „Ja, Parlamente sind gelegentlich objektiv überfordert, aber sie sind nicht ersetzbar.“ Er nannte als Beispiel die Beratung und den Beschluss über den Euro-Rettungsschirm von 480 Milliarden Euro innerhalb von fünf Tagen.
Der stellvertretende Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, Bernd Ulrich, sprach in der Diskussions-Reihe über das Ansehen der Medien und des Journalismus in der Gesellschaft. Er wollte wissen: „Woher kommt das Gift in den öffentlichen Debatten?“ Seine Antwort: Der Stammtisch, der früher privat war, finde heute im öffentlichen Raum statt, etwa via Twitter und Facebook. Dieses passiere oft anonym. Ulrich sagte: „Im Internet herrscht ein permanenter Krieg der Unsichtbaren gegen die Sichtbaren.“
„Kirchen müssen aufpassen, nicht im Mainstream zu ersaufen“
Der Journalist bezeichnete Medien, aber auch Politiker, als „Getriebene“. Zum einen hätten die konventionellen Medien „Todesangst“. Ihre Einstellung sei: „Wenn wir nicht ganz schnell ganz modern sind, werden wir untergehen.“ Zum anderen seien die Politiker verunsichert wegen Shitstorms, weil es weniger Stammwähler gebe und die Wahlbeteiligung abnehme. „Das Gefühl für das Volk ist nicht mehr da“, stellte Ulrich fest. Um dies zu kompensieren, suchten sie Ersatz im Netz. Diese Verunsicherung führe systematisch zu mauen und unstrukturierten Debatten. „Es gibt keine Politik des Wortes und keinen politischen Diskurs mehr.“ Es entstehe hingegen eine Art graue Diskursoberfläche, unter der die großen Probleme pochen. Der Medienmacher sagte: „Die früher beunruhigenden Faktoren wie die Grünen, die Kirchen oder Kirchentage müssen darauf achten, dass sie nicht im Mainstream ersaufen.“
Ulrich fasste zusammen: „Ursache unserer Probleme sind Qualitätsschwierigkeiten und das Internet zeigt uns das nur auf.“ Die Todesangst der konventionellen Medien sei falsch: „Wir werden nicht sterben. Zeitungen waren früher nicht besser, sie hatten es besser.“ Medien sollten sich nicht „vom Falschen aufschrecken“ lassen. Er rief Medienvertreter zu Respekt, Gelassenheit und zu ruhigem Arbeiten auf.