Anlässlich des 34. Evangelischen Kirchentages in Hamburg, der am 1. Mai beginnt, stellt die taz die Frage: „Soll sich Kirche stärker einmischen?“ Der Kirchentag werde zwar mediale Aufmerksamkeit bekommen. „Danach tritt dann oft Ernüchterung ein, zumindest bei vielen von denen, die sich einer der beiden großen christlichen Kirchen zugehörig fühlen.“ Offen sei, wie relevant Kirche für gesellschaftspolitische Debatten noch sei, und ob dies überhaupt ihrem Auftrag entspreche.
Kretschmann sieht einen politischen Auftrag der Kirche. Unser Staat, schreibt der Grünen-Politiker und Katholik, „lebt aus den moralischen und sozialen Qualitäten und Quellen seiner Gesellschaft“. Die Kirche fördere diese Qualitäten. Politisch sei die Kirche also „nicht im Sinne einer Partei, sondern als eine von vielen Gemeinschaften in unserer Gesellschaft, die Werte und Solidarität leben sowie Beziehungen und Verbindlichkeit fördern“.
Graf kritisiert dagegen, viele Kirchenfunktionäre schrieben sich ein allgemeinpolitisches Mandat zu und nähmen mit „eitlen Autoritätsposen“ zu allem Stellung. „Das geistliche Amt macht keineswegs politisch klüger, kompetenter als andere Rollen in der pluralistischen Gesellschaft.“ Kirchen hätten einen „klaren geistlichen Auftrag“, auf den sie sich konzentrieren sollten, meint der Münchener Professor. Dazu gehöre unter anderem die „religiöse Kommunikation zur Sinndeutung der elementaren Krisen des Lebens“ und „verlässliche Riten zur heilsamen Unterbrechung des Alltags“.
Der ehemalige Leipziger Nikolai-Pfarrer Christian Führer schreibt, auch Enthaltung der Kirchen aus gesellschaftspolitischen Debatten sei eine Weise, politisch zu sein. Wer sich nicht einmische, sei „eminent politisch“, weil er „auf das Kräftigste den Status quo und die gerade herrschenden Verhältnisse“ stütze. Auch Jesus habe mit dem Satz „Ihr seid das Salz der Erde“ Einmischung gefordert. Führer organisierte von 1982 bis 1986 die Friedensgebete gegen das Wettrüsten im Kalten Krieg. (pro)