Wenige Tage nach Ende seiner Amtszeit begann der frühere US-Präsident George W. Bush die Arbeit an seinen Memoiren. In „Decision Points“ (etwa: „Momente der Entscheidung“) erklärt Bush die 14 wichtigsten Entscheidungen seiner Präsidentschaft und seines Lebens – einschließlich der, sein Leben Gott anzuvertrauen. Ohne die Entscheidung, mit dem Trinken aufzuhören und stattdessen nach dem Willen Gottes zu fragen, wäre George W. Bush wohl nie der mächtigste Mann der Welt geworden – und somit auch nicht der meistgehasste. Daher verwundert es nicht, dass „Decision Points“ mit der persönlichen Schilderung dieser Lebensphase beginnt. Mit 40 Jahren von seiner Frau Laura auf seinen regelmäßigen, starken Alkoholkonsum angesprochen, habe er erkannt, dass es so nicht weitergehen könne. „Ich hatte monatelang gebetet, dass Gott mir zeigt, wie ich seinem Willen besser entsprechen kann. Mein Bibelstudium hat mir die Natur der Versuchung deutlich gemacht – dass die weltlichen Versuchungen die Liebe Gottes verdrängen können“. Seine Frau und die beiden Töchter seien ihm zu wichtig gewesen, um einfach so weiterzumachen wie bisher. „Der Glaube zeigte mir den Ausweg. Ich wusste, ich konnte auf die Gnade Gottes zählen, die mir helfen würde, mich zu ändern“. Der Rest ist Geschichte: 2000 wurde Bush zum 43. US-Präsidenten gewählt, 2004 im Amt bestätigt – mit mehr Wählerstimmen als je ein US-Präsident zuvor.
Eine neue Welt nach 9/11
Eindringlich schildert Bush den 11. September 2001, das Erwachen der USA und seiner Präsidentschaft in einer neuen, veränderten Welt. Nach den unspektakulären ersten Monaten seiner Amtszeit war Amerika plötzlich im Krieg. Bush geht ausführlich auf die Kriege in Afghanistan und im Irak ein und liefert seinen Gegnern wie erwartet einiges an Zündstoff – wie etwa seine Entscheidung, die umstrittene Verhörmethode des „Waterboarding“ nach ausführlicher Überlegung zugelassen zu haben: „Ja, verdammt“, habe er gesagt, „ich wollte unser Land um jeden Preis beschützen“. Auch die Entscheidung, Saddam Hussein gewaltsam zu Fall zu bringen, bereut Bush nicht. Es habe ihn wütend gemacht, dass im Irak bis heute keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden – doch an deren Existenz hätten auch die oppositionellen Demokraten und alle europäischen Geheimdienste geglaubt. Selbst prominente Demokraten hätten im Kongress für den Krieg gestimmt, und viele Länder an der Seite der USA gestanden. Dem Irak, da ist sich Bush sicher, gehe es heute viel besser als unter Saddam Hussein: „Er würde noch immer seine Nachbarn bedrohen, Terrorismus finanzieren und Leichen in Massengräbern anhäufen.“
Es sind gerade diese Passagen, die in den deutschen Medien ein großes Echo gefunden haben: Bush als Cowboy, als kalter Kriegsherr, der sich nicht beraten, nicht beirren lässt. In seinem Buch räumt Bush jedoch auch bereitwillig „schwere Fehler“ ein, die er „bereue“. Dazu gehört der viel kritisierte Auftritt auf dem Flugzeugträger „USS Abraham Lincoln“ vor dem Banner „Mission Accomplished“ („Mission erfüllt“). Bush erklärte dort die Hauptkampfhandlungen im Irak für beendet – am 1. Mai 2003. Die meisten US-Soldaten im Irak fielen später. Bush gibt ebenfalls Auskunft über seine Finanzpolitik, die die weltweite Finanzkrise 2008 nicht verhindern konnte, sowie über die schwierigen Wochen nach Hurrikan „Katrina“.
Bibelstunden im Weißen Haus
„Decision Points“ gewährt darüber hinaus einen Einblick in die Person George W. Bush und seine Präsidentschaft, der über die landläufigen Vorurteile hinausgeht. Wie auch andere Bücher zuvor zeichnet „Decision Points“ das Bild eines Mannes, für den Aufrichtigkeit und Loyalität zu den Maximen des täglichen Handelns gehören. Es ist das Bild eines Mannes, der Bibelstunden im Weißen Haus abhielt, Bildungspolitik zum Hauptanliegen seiner ersten Amtszeit machen wollte und der sich erfolgreich zur Bekämpfung von AIDS in Afrika einsetzte. Anders, als viele meinen, hat Bush seine Entscheidungen zu keinem Zeitpunkt auf die leichte Schulter genommen – das wird beim Lesen deutlich. Nachdem er etwa grünes Licht für den Beginn des Irak-Kriegs gab, zog er sich zum Gebet zurück – nicht, ohne zuvor einen nachdenklichen Brief an seinen Vater zu schreiben: „Jetzt weiss ich, wie du dich damals gefühlt hast.“
Gespräche mit verwundeten Soldaten oder den Hinterbliebenen Gefallener hätten ihm seine Verantwortung immer wieder vor Augen geführt. Eine Begegnung, die Bush wohl am nachhaltigsten prägte, sei die mit Arlene Howard gewesen. Ihr Sohn, der Polizist George Howard, starb am 11. September am World Trade Center. Drei Tage später schenkte sie Bush die Dienstmarke ihres Sohnes, mit der Bitte, ihn nicht zu vergessen. „Ich diente noch 2.685 Tage als Präsident, nachdem mir Arlene die Marke gegeben hatte. Ich habe sie an jedem einzelnen davon bei mir getragen“, schreibt Bush.
Bush ist mit sich im Reinen
Beim Lesen von „Decision Points“, sowie in den TV-Interviews und der Ansprache zur Eröffnung seines Museums, wird eines deutlich: Hier spricht ein Mann, der mit sich und der Welt im Reinen ist. Angesichts der bis heute andauernden heftigen und persönlichen Kritik an seiner Politik und an ihm selbst mag es den einen oder anderen verwundern, dass Bush einen tiefen inneren Frieden ausstrahlt. Glaubwürdig ist auch der gelassene und schlagfertige Humor, den über die Jahre immer wieder Menschen nach einem persönlichen Treffen mit ihm bewundert haben. Bush lacht gerne über sich selbst – sei es darüber, dass er in einer Yale-Vorlesung eingeschlafen war oder über Streiche unter seinen Mitarbeitern im Weißen Haus.
Bushs Umfragewerte waren zum Ende seiner Amtszeit schlecht, nach der Vereidigung Barack Obamas zog Bush sich aus der Öffentlichkeit zurück, überließ die tagespolitische Kritik anderen. Nur nach dem Erdbeben in Haiti war Bush im Februar 2010 kurzzeitig wieder präsent, reiste mit Ex-Präsident Clinton ins Krisengebiet, um Hilfsprojekte zu koordinieren. 2010 tourte er zur Vermarktung seiner Autobiografie durch US-Talkshows. Pünktlich zur Eröffnung seines Museums sind Bushs Umfragewerte wieder gestiegen – momentan liegt er mit Amtsinhaber Obama bei der Popularität etwa gleich auf.
„Decision Points“ gibt einen authentischen Einblick in das Denken des umstrittensten US-Präsidenten der jüngeren Geschichte. Einige von Bushs Entscheidungen fanden keinen großen Zuspruch – „aber ich bin zufrieden, dass ich den Willen hatte, schwere Entscheidungen zu treffen, und ich habe immer das getan, von dem ich glaubte, dass es richtig ist.“ Eine abschließende Bewertung seiner Arbeit, so George W. Bush, sei "für Historiker erst in Jahrzehnten möglich". Wie dieses Urteil auch ausfallen mag: Die Meinung anderer Menschen ist für ihn offenbar nie der wichtigste Maßstab gewesen. (pro)
George W. Bush: Decision Points. 481 Seiten mit zahlreichen Farbfotos. Englischsprachige Ausgabe von Crown Publishers, ab 18,95 Euro.