Lohlker erklärt zum Salafismus: "Es ist gewissermaßen die islamische Ausprägung eines Evangelikalismus, in der Form der Gemeinschaftsbildung, die gegen die Auflösung bestehender Bindungen gerichtet ist. Das findet man in allen Weltreligionen." Die Umkehrerfahrung sei für die Islamisten wesentlich: "Auch die Art der Konversion, das hat sehr große Ähnlichkeit mit Erweckungsgottesdiensten christlicher Prägung." Ob evangelikale Christen nun aufschrien, sei für ihn als Wissenschaftler nicht relevant. Auf die Frage von "Christ und Welt", ob Salafisten die Reformatoren des Islam seien, antwortet Lohlker mit Ja. Reformatoren und Salafisten vereine der Wunsch, die Religion von "historischen Anhaftungen" zu befreien und "Widerstand gegen die Verfasstheit der Welt" zu leisten.
Der deutsche Islamwissenschafter Lohlker ist derzeit Professor für Orientalistik an der Wiener Universität. Er unterscheidet drei Formen von Salafismus: Den politisch uninteressierten, den politisch interessierten und den dschihadistischen. Der politische Salafismus überwiege seit 2011. Sichtbar sei er etwa im Arabischen Frühling geworden. Generell sei diese Ausprägung des Islam nicht so gefährlich, wie sie in den Medien dargestellt werde. Es dominiere eine eher lebensreformerisch ausgerichtete Strömung, aber Salafisten strebten auch zunehmend nach politischer Macht. Zugleich warnt Lohlker: "Der Salafismus ist eine sehr effektive Bewegung." Prediger wie Pierre Vogel seien nicht zu unterschätzen.
Diener: Unsachliche Stimmungsmache
Das Interview in "Christ und Welt" steht unter der Überschrift "Evangelikale des Islam". Dem Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener, ist nicht nur das ein Dorn im Auge. Er wirft den Journalisten Unsachlichkeit und Stimmungsmache vor. "Mich beunruhigt an dieser Stelle weniger, dass ein promovierter Islamwissenschaftler anscheinend über nicht genügend Unterscheidungskriterien verfügt, um essentiell Unterschiedliches auch als derartiges erkennen zu können. Ich kann auch damit leben, dass Herr Lohlker sich derartig journalistisch instrumentalisieren lässt, aber ich finde es nicht hinnehmbar, wie unwidersprochen einseitig Titel und Fragerichtung von ‚Christ und Welt‘ hier auf eine Diffamierung evangelikaler Christen zielen", erklärte Diener auf Anfrage von pro.
Das Interview könne getrost als Bankrotterklärung an einen seriösen und um Differenzierung bemühten Journalismus bezeichnet werden. Diener: "Es ist durch nichts gerechtfertigt, die Bezeichnung Evangelikale auf den Islam zu beziehen. Evangelikale in Deutschland und weltweit bekennen sich zur Gewaltfreiheit und zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Sie achten das Gewaltmonopol des Staates und setzen sich weithin für demokratische Grundprinzipien ein. Wie voreingenommen und interessengeleitet muss man eigentlich sein, um Christenmenschen derartig zu diffamieren und in Bezug zu einer religiösen Gruppe des Islam zu bringen, der zum Beispiel alle Terroristen des 11. September angehörten?" (pro)