pro: Herr Rode, wie bewerten Sie das Medienecho zur Veröffentlichung des Weltverfolgungsindex?
Rode: Wir haben ein sehr großes Interesse für das Thema Christenverfolgung bei den Medien festgestellt. Besonders im Internet findet das Thema große Beachtung. Im vergangenen Jahr haben wir leider durch den Rücktritt von Christian Wulff als Bundespräsident am Tag unserer Veröffentlichung viel Aufmerksamkeit verloren.
pro: Wie definieren Sie Christenverfolgung?
Rode: Der Begriff ist schwer zu definieren, weil Verfolgung etwas ist, das Christen subjektiv empfinden. Wir haben den Begriff weit gefasst und verstehen beispielsweise auch Diskriminierung als Christenverfolgung. Wenn Kinder unter Androhung von Prügel gezwungen werden, am Islamunterricht in der Schule teilzunehmen, fällt das bei uns in den Bereich der Verfolgung.
pro: Welche Kriterien legen Sie zur Berechnung des Index an?
Rode: Wir berücksichtigen verschiedene Aspekte der Religionsfreiheit. Darunter fallen das private Leben eines Christen, sein Familienleben, sein soziales Leben, Leben im Staat und das kirchliche Leben. Unter sozialem Leben verstehen wir beispielsweise, ob ein Mensch wegen seines christlichen Glaubens aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen wird. In einigen muslimischen Ländern müssen Christen einen Stempel im Pass mit sich führen, der sie im wahrsten Sinne des Wortes "abstempelt". In solchen Ländern werden Christen in der Kategorie "Leben im Staat" verfolgt. Unter "kirchlichem Leben" verstehen wir, ob ein Christ die Freiheit hat, seinen Glauben in der Gemeinschaft zu praktizieren. Über diesen fünf Ebenen liegt noch ein Bereich, nämlich der der physischen Gewalt gegen Christen. Um diesen zu berechnen, zählen wir konkrete Anschläge.
Die Bewertungen bringen unsere Experten in ein Punktraster. Übrigens versuchen wir jedes Jahr, die Bewertung zu optimieren und lassen sie durch verschiedene unabhängige Quellen überprüfen.
pro: Das sehen offenbar nicht alle so. "Christ und Welt" warf Ihnen jüngst vor, dass die Kriterien, die Sie zur Berechnung des Verfolgungsindex heranziehen, "schwer nachvollziehbar" seien und dass Sie "vor einigen Jahren" die "Schätzung der weltweit verfolgten Christen stillschweigend auf 100 Millionen Menschen" halbiert hätten.
Rode: Wir haben auf unserer Webseite genau erklärt, warum wir nicht von einer Abnahme oder Halbierung der Verfolgung sprechen. Die Zahl von 200 Millionen stand tatsächlich viele Jahre im Raum. Sie stammt aus dem 1996 erschienenen Buch "Their blood cries out" von Paul Marshall. Vieles hängt bei diesen Schätzungen natürlich von der Begriffsdefinition ab. Wir haben eine eigene Erhebung gemacht, die Christenverfolgung anders definiert als in dem Buch: "Namenschristen" werden von uns nicht berücksichtigt, weil sie nicht aufgrund ihres Glaubens an Christus verfolgt werden. Von den rund 85 Millionen Christen in China werden zum Beispiel nicht alle verfolgt. Dort gibt es Regionen, in denen Christen ihren Glauben frei leben können. Ein anderes Beispiel: In Nigeria werden vor allem im muslimischen Norden des Landes Christen verfolgt. Der Süden ist kaum betroffen. Auch weil wir regional differenzieren, kommen unsere Schätzungen auf eine andere Zahl.
pro: Sie erwähnen China: Das Land scheint große Fortschritte gemacht zu haben. Immerhin ist es von Platz 21 auf 37 des Weltverfolgungsindex gefallen.
Rode: Dieser große Schritt täuscht. Leider hat sich die Situation in China nicht deutlich verbessert. Rund 100 Christen sitzen noch im Gefängnis. Die scheinbare Verbesserung ist einer automatischen Verschiebung geschuldet, weil sich die Situation in vielen anderen Ländern deutlich zugespitzt hat. Mali war beispielsweise im vergangenen Jahr gar nicht im Index und ist jetzt auf Rang sieben aufgestiegen. Islamisten sind in den Norden marschiert und haben die Christen vertrieben.
pro: Welche Erwartungen haben Sie für das kommende Jahr?
Rode: Ich sehe keine Aufhellung am Horizont. Der größte Trendverstärker 2012 war der Arabische Frühling. Der ist noch nicht vorbei. Gleichzeitig beobachten wir aber auch, dass die christliche Gemeinde wächst. Immer mehr Muslime werden Christen. Das verstärkt die Verfolgung zwar einerseits, ist andererseits aber auch ein Zeichen der Hoffnung.