Joas: Christliche Botschaft ist „unerhört aktuell“

Der renommierte Soziologe Hans Joas sieht derzeit "eine der größten Expansionsphasen des Christentums in der Geschichte". Das hat der Buchautor und Katholik im Interview mit "Zeit Wissen" erklärt. Dennoch ist er sich sicher: Eine Gesellschaft kann auch ohne Religion stabil sein.

Von PRO

"Man muss sich vor Augen führen, dass wir derzeit, global gesehen, eine der größten Expansionsphasen des Christentums in der Geschichte erleben", sagt Joas. In China, Südkorea und Afrika nehme die Zahl der Christen rasant zu. In Europa werde diese Entwicklung schlicht nicht wahrgenommen. Seiner Meinung nach sei die Botschaft des Christentums von "unerhörter Aktualität", etwa das Ethos der Nächstenliebe. "Für mich hat die Vorstellung, dass es ein Überschreiten des Eigennutzes und der Dynamik der Konflikteskalation gibt, lebenslang eine ins Mark gehende Attraktivität. Das ermöglicht eine Vision des Ausstiegs aus Gewaltspiralen, der nicht von vornherein in der Natur des Menschen angelegt ist", sagt Joas.

Gegen Todesstrafe, für Frauen im Priesteramt

Dennoch widerspricht er der Vorstellung, Nichtgläubige seien zwangsläufig unglücklicher und unmoralischer als Christen. "Eine Gesellschaft ist auch ohne Religion stabilisierbar", findet Joas. Das zeigten säkulare Länder wie Schweden. Die Kirchen ruft er im Gespräch mit der "Zeit" dazu auf, für das "Ethos des Christentums" einzutreten. Sie dürften einerseits nicht wie eine politische Partei agieren und in allen Fragen populäre Haltungen einnehmen. So sollten sie in den USA energischer gegen die Todesstrafe einstehen oder hätten vehementer gegen den Irakkrieg auftreten sollen. Andererseits müssten Neuerungen innerhalb der Institution möglich sein. Joas plädiert für eine Zulassung von Frauen zum Priesteramt der katholischen Kirche. "Es ist offensichtlich, dass die katholische Kirche zurzeit das vorhandene Frauenpotenzial nicht ausschöpft und sich dadurch selbst schädigt", sagt er.

Und einen weiteren Tipp hat Joas für die Kirchenoberhäupter: "Ich würde in einem vom Säkularismus geprägten Zeitalter jeder Religionsgemeinschaft raten, die Existenz anderer Religionen grundsätzlich zu begrüßen." Wie man das Geläut der Kirchenglocken akzeptiere, könne man auch den Ausrufer auf dem Minarett respektieren, ist er überzeugt.

Der Soziologe Hans Joas ist derzeit Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies und Professor an der Universität Chicago. Im Sommersemester 2012 hatte Joas als erster Wissenschaftler die neu geschaffene Gastprofessur der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung an der Universität Regensburg inne. Sein neuestes Buch "Glaube als Option" ist im Juni im Verlag Herder erschienen. Joas forscht unter anderem zu Fragen der gesellschaftlichen Säkularisierung. (pro)

http://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/01/Soziologe-Hans-Joas-Religion-Atheismus-Selbsttranszendenz
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