Für vier Wochen hat der 31-jährige Schaap Jeans und Hemd gegen das traditionelle ägyptische Gewand namens Galabia eingetauscht, Zigaretten und Alkohol – zumindest offiziell – aus seinem Leben verbannt und dem Westen demonstrativ den Rücken gekehrt. Für diese Zeit war er noch vor dem Machtwechsel in Ägypten als Schüler an einer salafitischen Lehranstalt, die als islamistische Kaderschmiede gilt, eingeschrieben. Daniel Schneider, Mitglied der "Sauerland-Gruppe", lernte dort, und auch Eric Breininger hatte vor seinem Tod im Jahr 2010 vor, sich an der offiziell als Sprachschule betriebenen Einrichtung einzuschreiben.
Nicht nur äußerlich muss der Journalist sich für seine Reise in eine andere Welt verändern. Im Buch schildert er seine ersten Begegnungen, unter anderem mit dem Schulverwalter Ahmad: "Ich beginne, ausgiebig über Israel herzuziehen, ersetze mit großem Widerwillen das Wort Israel durch ‚die Juden‘ und finde mich langsam in die Rolle, die ich hier die nächsten Wochen spielen werde. Hass auf die Juden ist in diesen Kreisen immer ein guter Einstieg. Leider. Wie zu erwarten, nickt Ahmad verständig."
An der Schule lernt der erklärte Agnostiker Schaap Grundlegendes der salafitischen Lehre: Das Christentum ist Lüge, nur Muslime kommen ins Paradies, und: "Der Islam muss überall sein im Leben eines Menschen". "Dort, wo die Gesetze nicht mit der Scharia vereinbar sind, muss man sich abschotten, um nach den wahren Gesetzen zu leben", bringt man ihm bei. In einer Grammatikstunde trifft er auf einen Jungen namens Nur, der sagt, er wolle zu den Mudschaheddin und als Märtyrer sterben. Ein amerikanischer Konvertit namens Umar erklärt ihm: "Die Demokratie ist kein System für den Islam. Zu viele Stimmen", und weiter: "Die Scharia muss überall eingeführt werden. Überall! Und dafür müssen wir den Dschihad führen, Bruder. Es steht so im Koran."
Koran und Fast-Food statt Kickboxen und Bibel
Für die Zeit seines Aufenthalts teilt sich Schaap eine Wohnung mit dem Fast-Food-liebenden konvertierten Amerikaner Saif. "An den Wänden hängen eine Weltkarte und zwei weiße Din-A4-Seiten. Auf der einen ein Pfeil Richtung Mekka, auf der anderen die Verhaltensregeln für die Wohnung: keine Fremden, keine Frauen, kein Alkohol, keine Zigaretten", beschreibt der Autor seine Unterkunft. Saif gibt ihm eine Einführung in die Regeln des Islam: Musik und Filme sind verboten, ebenso wie alles, was von Gott ablenken könnte. Und das Essen mit der falschen Hand. "Das darfst du nicht", raunt er dem Linkshänder Schaap zu. "Nur der Satan isst mit links. Versuche, mit rechts zu essen." Saif wird zum roten Faden in der Reportage – und zur wohl tragischsten Figur.
Jenseits der zahlreichen neuen Regeln erfährt der Journalist auch, wie der naiv wirkende Saif zum radikalen Moslem wurde. Auf dem College habe er sich viel mit der Bibel auseinandersetzen müssen. Ihm seien Widersprüche in der christlichen Lehre aufgefallen. So habe er sich dem Islam zugewandt. Saif verbringt die meiste Zeit in seinem Zimmer, lernt Koransuren und Arabisch, oder schaut "Huda-TV", eine Art Selbsthilfe-Programm für Muslime. In seiner amerikanischen Heimat war er Kickboxer, liebte Filme. Als Konvertit hat er sich von seiner Familie abgewandt. "Ich habe extrem gute Neuigkeiten", sagt er eines Tages zu Schaap. "Ich bin nach Pakistan eingeladen." Dem Rechercheur Schaap wird klar: Der Mann, der in den vergangenen Wochen zu einer Art Freund geworden ist, wird tiefer in den Islamismus geraten.
"Wir werden die Minderheit in unserem Land sein…"
Doch Schaap lernt auch eine andere Seite Ägyptens kennen. Immer wieder schleicht er sich abends aus dem Haus und in seine Stammkneipe. Dort lernt er Ali und Maher kennen, die zwar Muslime sind, beim Wort Salafiten aber nur die Augen rollen. "Diese Leute spinnen doch. Man trägt doch seinen Glauben oder seine Religion im Herzen, nicht in Verboten und Vorschriften", sagt Maher. Ali wirft einen skeptischen Blick in eine Zukunft, die sich bei Erscheinen des Buches schon erfüllt haben wird: "Das andere Problem ist, wie groß sind die Fundamentalisten, die konservativen Religiösen denn, wenn Mubaraks harte Hand einmal verschwindet? Ich weiß es nicht, keiner kann es genau wissen, denke ich, aber wisst ihr, was ich befürchte? Wir werden die Minderheit in unserem Land sein…"
Schaaps Buch ist nicht nur deshalb eine spannende Betrachtung, weil es die Abgründe des Islamismus in Ägypten zeigt. Es macht vor allem deutlich, wie gespalten die Gesellschaft im Land am Nil bereits war, bevor die Muslimbrüder und Salafiten dort die Regierung stellten, und wie groß und umfassend das Machtstreben radikaler Islamisten ist. Der radikale Islam, wie ihn ein Teil der derzeitigen Regierung vertritt, hat, trotz aller versöhnlichen Worte westlicher Politiker in Richtung Ägypten, globalen Anspruch.
Obwohl Schaaps Buch Geschehnisse in Nordafrika schildert, lässt es auch einen Rückschluss auf Deutschland zu. Denn der Reporter trifft auch Konvertiten aus der Bundesrepublik. Und die zeigen sich als Fans des Predigers Pierre Vogel und des salafitischen Vereins "Die wahre Religion", der zuletzt als Drahtzieher einer deutschlandweiten Koran-Verteilaktion in Erscheinung trat. Klickt man sich heute auf die Internetseite der deutschen Salafiten, begrüßen einen Bilder der aktuellen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas, begleitet von islamischen Gesängen. Man erinnert sich an Schaaps Worte: "Hass auf die Juden ist in diesen Kreisen immer ein guter Einstieg. Leider." (pro)
Fritz Schaap, "Nur der Satan isst mit links", Herder, 14,99 Euro, 160 Seiten, ISBN: 978-3-451-30534-4