Soziale Netzwerke im Internet veränderten die Lebenswelt der Beteiligten in umfassendem Maße, betonen die beiden Herausgeberinnen des Bandes, die Theologinnen Christina Costanza und Christina Ernst, im Vorwort. Meinungsbildung und Selbstdarstellung "knüpfen an die Offline-Realitäten der Akteure an und erweitern und transformieren sie". Dies führe zu einer "Vervielfältigung (…) von Lebensweisen, Handlungsoptionen und Erlebnismöglichkeiten menschlichen Personseins".
Genau wie andere Einrichtungen müsse sich die Kirche mit dieser Entwicklung auseinandersetzen, wenn sie ihren Auftrag der Verkündigung des Evangeliums ernst nehmen: "Wie kann Glaubenskommunikation in medialen und virtuellen Umgebungen stattfinden?" Mit anderen Worten: eine "Theologie der Social Media" ist nötig, die besagte Veränderungen aus Sicht des christlichen Glaubens durchdenkt und dabei auf Erkenntnisse anderer Disziplinen, insbesondere der Anthropologie und Medienwissenschaft, zurückgreift.
Menschsein auch im Netz
Die zehn Beiträge des Bandes wollen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und nehmen zum Teil einen langen Anlauf. Für theologisch Interessierte sind sie jedoch spannend zu lesen. Constanza versucht etwa, allen denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die sagen, eine Person werde im Netz nicht vollständig wahrgenommen: Auch eine wirklich anwesende Person zeichne sich dadurch aus, für den anderen ein Stück weit unzugänglich zu sein, sagt die Systematikerin in Anlehnung an die "negative Personentheorie" des Theologen Wolfhart Pannenberg. Auch im Netz bleibe man "Person".
Dem stimmt auch der "Medientheologe" Karsten Kopjar zu, der nach einer kleinen Geschichte der Medien die Möglichkeiten des Web 2.0 für Kirchen als Ergänzung zum "normalen kirchlichen Leben" deutlich macht: Über das Internet an einem Gottesdienst teilzunehmen, habe besonders in Isolationssituationen einen Mehrwert. Junge Menschen könnten damit dort erreicht werden, wo sie sich aufhielten – in Online-Communities. Zugleich müsse die Kirche darauf achten, dass durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten sozial Benachteiligte nicht noch weiter ausgegrenzt werden.
Die "jungen Menschen" im Web 2.0 zu erreichen, bringt Andrea Mayer-Edoloeyi, katholische Social Media Managerin, auf den Begriff der "doppelten Inkulturation": die Kirche tritt in das Web 2.0 ein, und es kommt zur Resonanz bei den dortigen Akteuren. Es gehe dabei um ein "Kommunikationsgeschehen auf Augenhöhe". Die Autorin listet dabei einige Punkte auf, die es zu beachten gilt: die Ästhetik des Webauftritts sei nicht zu unterschätzen, ebenso wie die Möglichkeit, den Auftritt auf mobilen Geräten nutzen zu können.
Der Fokus des Bandes liegt in den theoretischen Betrachtungen zu Personen im Web 2.0 und den sich daraus ergebenden theologischen und ethischen Fragestellungen. In weiteren Beiträgen wird etwa gefragt, wie viel persönliche Daten die Akteure im Web 2.0 freigeben sollen. Oft betonen die Autoren, erst den Anfang gemacht zu haben, und geben an, auf welche Weise weiter geforscht werden muss. Das Buch richtet sich also vor allem an Theologen oder Verantwortliche in Kirchen und Gemeinden, die das Web 2.0 bereits intensiv einsetzen und ihr Wissen darum vertiefen möchten. (pro)
Christina Constanza / Christina Ernst (Hgg.), Personen im Web 2.0. Kommunikationswissenschaftliche, ethische und anthropologische Zugänge zu einer Theologie der Social Media, Edition Ruprecht 2012, 226 Seiten, 36,90 Euro.