Lange seien die Evangelikalen in den USA als "politische Lemminge" wahrgenommen worden, die ihre Stimme jenen gäben, die eine Politik gegen Abtreibung und gegen die Rechte Homosexueller machten. Doch bereits 2008 hätte ein Drittel der unter 40-Jährigen Christen für die Demokraten gestimmt, ebenso wie 26 Prozent der älteren weißen Evangelikalen. Für die Zukunft erwartet Pally eine weitere Verschiebung. Ihre Prognose: Mehr Evangelikale werden die Demokraten wählen.
Pally hat den Terminus der "Neuen Evangelikalen" geprägt. Darunter versteht sie eine junge Generation engagierter Christen, die vor allem als Akteure der Zivilgesellschaft auf sich aufmerksam machen. Sie sähen ihre Aufgabe weniger darin, Politik zu machen, als Politiker kritisch zu begleiten, ganz nach dem Vorbild der Propheten im Alten Testament. Zwischen 1960 und 2004 habe es eine klare Koalition Evangelikaler mit den Republikanern gegeben. Diese Bindung habe sich gelöst. Der "Fehler des Irak-Krieges" und der Gebrauch von Folter auf Seiten der Amerikaner hätten bei den Evangelikalen zu einem Umdenken geführt – einhergehend mit einer Neu-Interpretation der Bibel. So nähmen gläubige Christen den persönlichen Einsatz für soziale Gerechtigkeit wichtiger. Der Bund mit Gott werde als eng verknüpft mit der Verbindung zum Nächsten gesehen. Auch die Ökumene werde stärker betont. Pally zählt 19 Prozent der amerikanischen Christen zu den eher linken "Neuen Evangelikalen".
Evangelikale: Gegen soziale Hängematte und Abtreibung
Die meisten Evangelikalen würden weiterhin republikanisch wählen, stellte Pally fest. Dort empfänden sie ihr Interesse an einer Anti-Abtreibungspolitik und der Durchsetzung eines "schlanken Staates" eher vertreten. Diesem liberalen Politikmodell folgend, sollen Bürger und Wirtschaft möglichst selbstbestimmt, dafür aber auch ohne eine breite soziale Hängematte leben. Der Grund für diese Vorliebe vieler Christen liege auch in deren breitem sozialen Engagement. Wer sich 30 Stunden in der Woche freiwillig und neben seinem Beruf sozial engagiere, dem sei schwer zu vermitteln, warum der Staat sich um die Menschen kümmern solle, erklärte Pally. Oft habe sie in ihren Feldstudien unter evangelikalen Christen zum Beispiel den Satz gehört: "Wenn jede Kirche in den USA medizinische Hilfsprogramme durchführt, bräuchten wir keine staatliche Gesundheitsvorsorge."
Die Tatsache, dass der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Mitt Romney, ein Mormone ist, "scheint für sehr sehr wenige Wähler eine Rolle zu spielen", sagte Pally. Grundsätzlich sei sein Bekenntnis zum Glauben ein Plus im Wahlkampf. Die meisten akzeptierten das Mormonentum als Teil der Christenheit. Die Popularität der "Tea Party"-Bewegung führt Pally auf eine politische Frustration der Bürger zurück. Viele seien mit Demokraten und Republikanern unzufrieden, daher folgten sie dieser konservativ-libertären Bürgerbewegung. Für einen Fehler hält Pally es, dass die Evangelikalen mit der "Tea Party" assoziiert würden. Die Expertin sprach sich gegen verbreitete Vorurteile aus: "Es gibt einen großen Unterschied zwischen Fundamentalisten und Evangelikalen." Über einen Großteil des letzten Jahrhunderts seien Letztere als Gefahr, als fundamentalistisch, intolerant und neoliberalistisch wahrgenommen worden – Annahmen, die nicht der Wahrheit entsprächen, stellte Pally klar. Fest stehe auch: "Die Neuen Evangelikalen haben die politische Rechte verlassen." (pro)