Deutsche Elitejournalisten seien sich einig darüber, dass dem Thema Religion in der medialen Berichterstattung keinerlei Sonderstellung zukomme, heißt es in der Studie. Für die im Vergleich zu den 1980er- und 1990er-Jahren verstärkte Medienpräsenz der Religion machen die Journalisten drei Komponenten verantwortlich. So sei Religion erstens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in vielen politischen Konflikten ein Thema, insbesondere der meist negativ wahrgenommene Islam. Dieser "Fremdreligion" stehe zweitens das Christentum mit entgegengesetzten inhaltlichen Motiven gegenüber, denen "Kraft zur Sicherung der öffentlichen Moral und zur gesellschaftlichen Integration" zugesprochen werde. Daher erhalte das Christentum neue mediale Aufmerksamkeit – wie auch drittens wegen des wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnisses nach "schönen Bildern und großen Events", wie sie etwa bei katholischen Großveranstaltungen üblich seien.
Religion für Mehrheit "irrelevant"
2006 und 2007 haben Soziologen für die Untersuchung unter der Projektleitung von Karl Gabriel und Hans-Richard Reuter 18 leitende Journalisten aus den Politik-, Kultur- und Nachrichtenredaktionen überregionaler Tages- und Wochenzeitungen, der öffentlich-rechtlichen und ausgewählten privaten Fernseh- und Radiosender interviewt. Alle Befragten bis auf eine ostdeutsche Journalistin hatten – legt man das Kriterium der Taufe zugrunde – einen christlich konfessionellen Hintergrund. Für die Veröffentlichung wurden die Befragten anonymisiert.
Obwohl die Bedeutung der Religion in der persönlichen Lebensführung der Journalisten variiere, tendiere "die Mehrheit eher zum Pol der Irrelevanz", stellen die Soziologen in ihrer Veröffentlichung fest. "Gleichzeitig stellten wir bis gegen Ende der Interviewphase überraschend fest, dass unter den befragten Elitejournalisten niemand war, der einen expliziten Atheismus vertrat."
Die Wissenschaftler haben eine weitere Beobachtung gemacht: Während sich in der breiten Bevölkerung und anderen Eliten eine von der Institution Kirche und dem klassischen Christentum losgelöste Spiritualität beobachten lasse, gelte dies für die medialen Meinungsmacher in Deutschland nicht. "Durchgehend wird die eigene, indivuduierte Religiosität in einem Spannungsverhältnis zu den institutionellen Vorgaben im verfassten Christentum gesehen", schreiben die Forscher.
Während evangelische Journalisten in erster Linie an "ästhetischen und intellektuellen Differenzerfahrungen mit Blick auf die Qualität von Gottesdienst und Predigt" leiden würden, so rieben sich die Katholiken unter den Spitzenjournalisten eher "an den lehramtlichen moralischen Normen ihrer Kirche und sind bemüht, eigene Spielräume für autonome Gewissensentscheidungen zu gewinnen".
Berufsethos losgelöst vom Glauben
In Sachen Berufsethos würden die Elitejournalisten Wert auf die Feststellung legen, dass ihr Berufsethos sich nicht unmittelbar aus religiösen Quellen speist: es handele sich um eine im Verhältnis zu religiösen Überzeugungen autonome Ethik. Richtschnur sei die Profession, nicht die Religion. Die Achtung der Menschenwürde stehe dabei im Zentrum der Berufsethik.
Auch im Hinblick auf andere moralische Fragen gäben die befragten Spitzenjournalisten ihrer Religion kein exklusives Monopol, schreiben die Wissenschaftler. "Mit dem Christentum verbundene Werteorientierungen und Handlungsmaximen lassen sich in ihren Augen auch ohne expliziten Gottesglauben praktizieren", so das Fazit. "Die überwiegende Mehrheit der befragten Journalisten", und das habe die Soziologen überrascht, "hält die lange Zeit unter Intellektuellen weit verbreitete ideologiekritische Entlarvung und Abwertung der Religion für nicht mehr zeitgemäß". (pro)
Religion bei Meinungsmachern – Eine Untersuchung bei Elitejournalisten in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 283 Seiten, 39,95 Euro.