Als ich bei Günther Jauch auf dem Ratestuhl saß, habe ich mich erstmal gefühlt wie David mit der Steinschleuder", erzählt Friederike Garbe. Bei der Jubiläumsausgabe der Quizshow "Wer wird Millionär?" gewann die 67-Jährige im Februar dieses Jahres 64.000 Euro. Eine Summe, die sie für ihre sozialdiakonische Arbeit im Agape-Haus in der Altstadt von Lübeck gut gebrauchen kann. "Mich hat das Geld gar nicht so sehr beeindruckt, ich hatte mit viel weniger gerechnet", gibt sie zu. "Mich hat beeindruckt, wie Gott sich zu mir gestellt hat. Ich wusste nicht, woher ich die richtigen Antworten bekommen sollte, aber er hat gesagt: ‚Du kannst es dir zutrauen, ich bin ja dabei‘." Bei Günther Jauch sorgte Garbe für Erstaunen, als sie zugeben musste, erst zwei Ausgaben der beliebten Ratesendung gesehen zu haben. Nach ihrem Auftritt hat sie viel Post bekommen, zahlreiche Menschen zeigten sich bewegt von ihrer praktisch gelebten Nächstenliebe und ihrem Glauben.
Keine Frage, die 67-Jährige mit dem herzlichen Lachen ist telegen. Viel lieber, als auf der großen Fernsehbühne aufzutreten, kümmert sie sich um Bewohner und Haushalt des Agape-Hauses. Beim Betreten des geräumigen Altbaus mit Innenhof und Terrasse fallen die vielen Teelichter und Kinderwagen ins Auge und signalisieren: Hier finden Menschen Geborgenheit und Hilfe. Seit 1995 können Mütter in Notsituationen mit ihren Kindern im Agape-Haus zeitweise einziehen und Unterstützung erfahren. 2001 wurde die Arbeit des Trägervereins "Leben Bewahren Lübeck", dessen 1. Vorsitzende Garbe ist, um die bundesweit zweite Babyklappe erweitert. Seitdem wurden im Agape-Haus 14 Babys abgegeben und über das örtliche Jugendamt an Paare mit Kinderwunsch vermittelt.
"Findelkinder sind Glückskinder"
"Besonders bewegt hat mich damals das erste Findelkind", erinnert sich Garbe. "Ich hatte zuerst mit Fehlalarm gerechnet, dachte, jemand hätte zum Spaß eine Puppe in das Bettchen gelegt. Doch es war ein Mensch! Spontan habe ich gesagt: Herzlich Willkommen!" Hinter der Lübecker Babyklappe steht ein freundlich gestaltetes Wärmebett, in dem die Mütter ihre Kinder ablegen. Wird die Klappe geschlossen, werden Friederike Garbe und ihre Mitarbeiter über ein Alarmsystem informiert. Der weitere Ablauf ist dann genau festgelegt: "Zuerst wird ein Arzt gerufen, der das Kind untersucht", berichtet Garbe. "Nach der Erstuntersuchung geht es ins Krankenhaus zu einer Hebamme, die das Baby ebenfalls untersucht, für die Nabelpflege und erste Nahrung sorgt." Für Friederike Garbe ist es wichtig, dass das Kind in der ersten Nacht bei ihr persönlich übernachtet. Am nächsten Morgen schaltet sie das Jugendamt ein. Ein Vormundschaftsgericht klärt juristische Fragen. Das Jugendamt wählt schließlich Adoptiveltern aus, die das Kind abholen – ein Jahr später ist die Adoption dann rechtlich verbindlich. "Zu manchen dieser Familien habe ich noch Kontakt", so Garbe, "es sind tolle Eltern und es ist wunderbar zu sehen, wie sich die Kinder entwickeln. So gesehen sind die Findelkinder Glückskinder." Die Arbeit im Agape-Haus geht ihr persönlich nahe: "Neulich bekam ich Besuch von einer 16-jährigen Schülerin", berichtet Garbe, "die nach ihren zwei Geschwistern suchte, die beide hier abgegeben worden waren. Als ich ihr die Fotos zeigte, war sie sehr ergriffen. Sie hat dann auf dem Jugendamt ihre Kontaktdaten hinterlassen und hofft, eines Tages von ihnen zu hören."
Viele Mütter, die im Agape-Haus betreut werden, haben tragische Schicksale hinter sich. "Die eigene Geschichte wiederholt sich leider meistens: Wer als Kind nicht geliebt wurde, kann oft auch keine Liebe geben", hat Garbe beobachtet. In manchen Fällen kann es daher besser sein, ein Baby an Eltern abzugeben, die sich schon lange ein Kind wünschen, findet sie. "Die ‚richtigen‘ Eltern sind diejenigen, die lieben können."
Friederike Garbes Arbeit stößt nicht auf ein ungeteilt positives Echo. Der politische Streit um Babyklappen ist 2012 in Deutschland neu entflammt, Hauptgrund dafür: Der Verbleib von einigen der abgegebenen Kinder an den rund 90 Babyklappen in Deutschland kann nicht mehr nachvollzogen werden. Politiker wie Ingrid Fischbach, eine der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fordern deshalb sogar ein Ende der Babyklappen: "Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass in Deutschland keine neuen Babyklappen eröffnet werden dürfen, dass die bestehenden Projekte allmählich auslaufen sollten und möglichst rasch klare Vorschriften erhalten müssen", sagte sie Anfang März in der "Welt am Sonntag". "Mütter, die ihr Kind an einer Babyklappe abgeben, sehen in der Regel keinen anderen Ausweg", kontert Garbe. "Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Politiker darüber informieren, was in diesen Müttern vorgeht. Es geht um mehr als nur darum, eine gesetzliche Regelung für die Geburt von Kindern zu finden." Dabei habe sie auch schon ermutigende Resonanz bekommen: "Ich habe von Politikern im persönlichen Gespräch erfahren, dass sie froh über meine Arbeit sind, dass sie das aber nicht öffentlich sagen dürfen, weil eben die Rechtslage rund um Babyklappen noch offen ist." In diesem Zusammenhang freut sich Garbe besonders über das positive Echo, das ihre Arbeit in den Medien erhält. "Dass ich Fernsehsender und auch die lokale Presse hinter mir habe, hat mir schon bei mancher Auseinandersetzung mit Ämtern geholfen."
Familienbetrieb Gottes
Friederike Garbe ist seit 47 Jahren mit ihrem Mann Günter verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder und sieben Enkel. Das Agape-Haus ist ein Familienbetrieb, Garbes Tochter Julia Porath packt täglich mit an. Im Haus wohnen Mütter mit ihren Kleinkindern, aber auch Praktikanten, ehrenamtliche Helfer und Straffällige, die Sozialstunden ableisten, tragen zum "bunten Familienverband", wie Friederike Garbe sagt, bei. Günter Garbe arbeitet mit 73 Jahren noch immer als Tiefbauingenieur, ohne sein Einkommen hätte es die Lebensgemeinschaft schwer. Die Arbeit des Agape-Hauses finanziert sich zu einem großen Teil durch Spenden – und den ungewöhnlichen Nebenjob von Friederike Garbe: Sie arbeitet als Model.
"Vor ein paar Jahren war ein Reporter hier, um über unsere Arbeit zu berichten. Seine Frau, die bei einer Modelagentur arbeitet, hat mein Foto gesehen und gesagt: ‚Diesen Typ Frau brauchen wir‘. So wurde ich mit 60 entdeckt", erzählt Garbe. Seitdem wurde sie oft für Fotoshootings von Bildagenturen gebucht. Sie hat für die "Glücksspirale" und den Kosmetikhersteller Nivea geworben, auf Fotos posiert sie als Köchin, Radfahrerin oder Geschäftsfrau mit Laptop – "obwohl ich mit der Computerwelt gar nicht klar komme", lacht sie. Zwei- bis dreimal im Monat steht Garbe vor der Kamera. "Als Kind wollte ich Schauspielerin werden", sagt sie. "Ich habe viel Freude am Set und großartige Kollegen." Für die Zeitschrift "Brigitte" stand sie einmal gemeinsam mit Tochter und Enkeltochter vor der Kamera und erinnert sich: "Als erstes habe ich mir hinterher Tücher zum Abschminken gekauft – das war irgendwie nicht mehr ich."
An Abwechslung mangelt es Garbe also nicht. "Wir fragen jeden Morgen neu nach einem Auftrag Gottes für den Tag", berichtet sie. "Wir müssen hier spontan auf Situationen reagieren können und machen das nach dem Motto ‚Hier bin ich, sende mich‘. Wir leben unseren Glauben durch die Tat!" Dabei bleibt Friederike Garbe authentisch, egal, wo sie gerade steht: im Spielkeller des Agape-Hauses oder in der Spielshow von Günther Jauch. (pro)
Sehen Sie zu Friederike Garbe und dem "Agape-Haus" auch diesen Video-Bericht
Dieser Artikel wurde entnommen aus der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro 2/2012. Kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.