„Gauck wird Land nicht in Pfarrhaus verwandeln“

Mit Joachim Gauck steht seit Sonntag ein ehemaliger evangelischer Pfarrer an der Spitze der Bundesrepublik. Das freut die Kirchen, die dem neuen Staatsoberhaupt umgehend und einmütig gratulierten. Die Medien veranlasste es dazu, nach den christlichen Wurzeln des DDR-Bürgerrechtlers zu suchen.

Von PRO

"Was ist Ihnen heilig?" lautete eine der Zuschauerfragen, denen Gauck sich kurz nach seiner Wahl am Sonntagabend im ZDF stellte. In der Sendung "Was nun?" antwortete er so, wie so mancher es von einem Kirchenmann, aber weniger von einem Präsidenten erwarten würde: "Ich glaube an Gott, und Heiligkeit gehört zu Gott, nicht zum Menschen." Heilig im abgeschwächten Sinn sei ihm das Lebensprinzip der Bezogenheit. Das Leben in Beziehung zum Gegenüber sei für ihn die "allerschönste Ressource". Joachim Gauck nahm am Montag seine Geschäfte als Bundespräsident in Berlin auf.

Sichtbar machen, wie Glaube Rückgrat verleiht

Michael Diener, Vorsitzender der "Deutschen Evangelischen Allianz" (DEA), erklärte, er sei dankbar dafür, dass Gauck das Thema "Freiheit und Verantwortung" in den Mittelpunkt seines Wirkens gestellt habe. Er hoffe, dass es dem neuen Bundespräsidenten gelinge, dazu beizutragen, "dass das in unserer parlamentarischen Demokratie notwendige ‚machtlose‘ Amt des Wortes und der Person ‚heilen‘ und neu mit Profil gefüllt werden" könne. Diener teilte mit, er wünsche sich auch, dass Gauck "weitgehend unabhängig gegenüber Parteien und Medien" so agieren könne, dass "hörbar und erlebbar" werde, wie christlicher Glaube einem Leben "Rückgrat" verleihe. Erzbischof Robert Zollitsch würdigte Gauck mit den Worten: "Ihre christliche Prägung und Ihr Wirken in der evangelischen Kirche, Ihr Kampf für die Überwindung der Unfreiheit und vor allem Ihre tatkräftige Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit der ehemaligen DDR sind große berufliche und menschliche Verdienste."

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, teilte mit, Gauck habe mit seiner Lebensgeschichte und seinem Einsatz für Demokratie und Freiheit viele Menschen erreicht und überzeugt. Umso größer seien die Erwartungen und Hoffnungen, die sich an ihn richteten. "Ich hoffe, dass Ihnen und Ihrer Lebensgefährtin Daniela Schadt diese hohen Erwartungen nicht zur Belastung werden, sondern Antrieb und Ermutigung bleiben." Schneider erklärte weiter mit Bezug auf die "Herrnhuter Losungen": "Mögen Sie beide auch in allen Erschütterungen und unruhigen Zeiten dem Wort Gottes trauen, das der Lehrtext des heutigen Tages uns zusagt: ‚Der feste Grund Gottes besteht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Seinen.‘ (2.Timotheus 2,19)."

"Du wirst in die Hände Gottes fallen"

Auf die Frage, ob er denn wegen all der neuen Herausforderungen des Amtes in Sorge sei, antwortete Gauck im Interview mit dem ZDF am Sonntagabend, er habe es nicht so mit der Angst. Eine Aussage, die auf seinen christlichen Glauben verweist. So erklärte er laut "evangelisch.de" im Januar in Stuttgart: "Glaube bedeutet, dass da ein Kern in dir ist, der an deinem Herzen hängt. Dass du nicht so ängstlich bist. Was kann denn passieren? Du wirst in die Hände Gottes fallen." Viele Medien warfen angesichts der Kirchennähe des neuen Präsidenten einen Blick in sein Glaubensleben und -schaffen. So bezeichnet "evangelisch.de" Gauck als politischen Prediger: Er sei evangelischer Theologe geworden, ohne zunächst das Berufsziel Pfarrer vor Augen zu haben. "Ich wollte prüfen, was ich bisher nur vermutet und andeutungsweise von Gott gewusst hatte", beschreibe er in seiner Autobiografie seine Motivation. "Ich wählte das Studium also nicht, weil ich mich berufen fühlte, auf der Kanzel zu stehen und vom Reich Gottes zu künden, sondern eher aus persönlichen und politischen Gründen."

Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) sieht im Bonhoeffer-Fan Gauck vor allem einen "Missionar in Sachen Demokratie". Sein Zutrauen beschränke sich nicht darauf, den Bürgern ein paar plebiszitäre Elemente zuzugestehen. Er halte die Gesellschaft für fähig, die Spaltung in Arm und Reich, in Alt- und Neubürger, in Arbeitsplatz-Besitzer und Arbeitslose zu überwinden. Dass er ein protestantischer Präsident sei, bedeute nicht, "dass da einer Gott und die Bibel zitiert, wo er geht und steht". "Das hat einst Bundespräsident Johannes Rau, der kein Theologe war, gewiss öfter getan, als es Joachim Gauck tun wird. Präsident Gauck wird das Land nicht in ein evangelisches Pfarrhaus verwandeln", schreibt die SZ, und weiter: "Gauck ist keiner, der die Welt für ein Jammertal hält; er ist keiner, der Arbeit als Selbstzweck und einzigen Lebensinhalt betrachtet, auch keiner, der jeden Genuss für Sünde hält. Säuerlich und trocken ist Gauck nicht, er ist ein lebensfroher Mensch."

"Menschenfischer" und ewig Fremder

Die "Tageszeitung" (taz) nennt Gauck in Anlehnung an die Bibel einen "Menschenfischer" und charakterisiert ihn als einen ewigen Fremden: "Ein Bürgerlicher in einem Arbeiter-und-Bauern-Staat, ein Ostdeutscher, der vom Westen träumt, ein Mann Gottes in einer atheistischen Gesellschaft und ein Pfarrer, für den theologische Fragestellungen nie vorrangig sind." Geradezu logisch erscheine es, dass ausgerechnet ein Pfarrer aus der ehemaligen DDR nun Präsident geworden sei: "In einer Gesellschaft, in der schon Schüler nicht frei sprechen dürfen, kommt es nicht von ungefähr, dass später gerade Pastoren als Politiker Karriere machen. Nur sie haben es gelernt, öffentlich zu sprechen, und sind durch die protestantische Diskurskultur geschult."

Die "Tagespost" lässt Gauck selbst zu Wort kommen, indem sie aus dem 2005 erschienenen Interview-Buch "Suche nach Sinn" von Günther Klempnauer zitiert. Da sagt Gauck: "Als Christ macht mich Gott verantwortungsfähig, indem ich ständig im Dialog mit Gott, seinem geoffenbarten Wort sowie meinem Gewissen stehe und mit meinem praktischen Tun Antwort gebe, koste es, was es wolle." Rückblickend erscheine es ihm, als könnten Menschen, die an Gott glaubten, Minderheitssituationen länger aushalten, den längeren Atem haben, nicht so leicht verzweifeln, indem sie Gott mehr gehorchten als den Menschen. "Fröhlich in Hoffnung, gleichzeitig geduldig in Trübsal zu sein und auch noch die Kraft zu finden, Kontakt zu deinem göttlichen Gegenüber aufzunehmen, ist alles andere als selbstverständlich", sagte Gauck damals.

Protestantische Elite?

Die "Welt" stellt fest, nicht nur Gauck und die Bundeskanzlerin Angela Merkel hätten eine evangelische Vergangenheit, auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe oder der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder seien bekennende Protestanten. "Die Ballung von evangelischem Personal fiel vor allem auf, als der neue Bundespräsident noch gesucht wurde: Neben Gauck war auch Wolfgang Huber in der engeren Wahl – genannt wurden außerdem Margot Käßmann und die Grüne Katrin Göring-Eckardt. So gesehen setzte sich ein ehemaliger Pastor gegen zwei ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und eine Präses, Kirchentagspräsidentin und Pfarrersfrau durch", heißt es weiter. Das sei eine Zufallskonstellation, die einen Trend illustriere: "Der Protestantismus prägt die deutsche Politik wie nie zuvor. Die Politik – wohlgemerkt. Gesellschaftlich ist die evangelische Kirche nach wie vor auf dem Rückzug." Politisch immerhin ist am Montag eine weitere Stimme hinzugekommen. Gauck hat seinen Vertrauten David Gill zum Staatssekretär im Präsidialamt ernannt. Gill war Oberkirchenrat und von 2004 bis 2008 stellvertretender Bevollmächtigter des EKD-Rates in Berlin. (pro)

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