Schneider: Judentum, nicht Islam ist Wurzel des Christentums

Die Missionierung von Juden hält der Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, zwar für erlaubt, nicht jedoch für notwendig. Der Theologe, der am Sonntag mit der Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt wurde, hat der "Welt am Sonntag" ("WamS") Fragen zum Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche und Judentum sowie zu Israel beantwortet.
Von PRO
Mit der Verleihung der undotierten Buber-Rosenzweig-Medaille in Leipzig ist am Sonntag die "Woche der Brüderlichkeit" eröffnet worden. In dieser Woche organisieren die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit überall in der Bundesrepublik Veranstaltungen, in denen das Verhältnis von Juden und Christen zum Thema wird. Sie wird in diesem Jahr zum 60. Mal durchgeführt. Die Medaille erinnert an die jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig. Die Laudatio auf Schneider hielt der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier.

Die Hebräische Bibel sei Grundlage sowohl für das Judentum als auch für das Christentum, erinnerte Schneider in seiner vorab verbreiteten Rede vor der Eröffnung der christlich-jüdischen "Woche der Brüderlichkeit" am Samstag in Leipzig. "Mit keiner anderen Religion teilen wir diese Gemeinsamkeit." Auf dieser Grundlage könnten Christen und Juden gemeinsam lernen und einen Dialog auch über Unterschiede führen.

Dass die jahrhundertelange Polemik im Verhältnis zwischen Christen und Juden von christlicher Seite immer wieder in Diskriminierung und brutale Gewalt umgeschlagen sei, beschäme die Kirche bis heute, sagte der Ratsvorsitzende. Er bezeichnete es als "unverdientes Geschenk", dass es auf jüdischer Seite auch nach dem Holocaust und trotz dieser Schuld Gesprächsbereitschaft gegeben habe. "Wir brauchen den Dialog mit dem Judentum, weil uns sonst nicht der ganze Wortschatz und alle Vokabeln des Gotteswortes zugänglich sind", sagte Schneider. Erster Adressat von Gottes Wort in der Hebräischen Bibel sei nicht die Kirche, sondern das Volk Israel gewesen.

Keine Empfehlung zur Juden-Mission bei Paulus

In einem Interview mit der "Welt am Sonntag" sagte Schneider: "Eine Missionierung der Jüdinnen und Juden setzt eine bewusste, absichtsvolle Strategie voraus, die zum Ziel hat, deren Glauben zu ändern. Das aber ist Jüdinnen und Juden gegenüber nicht angebracht – sie glauben ja an den Gott Israels, an den auch wir glauben. In Relation zu Israel sagen wir: Wir bekennen voreinander unseren Glauben und gemeinsam mit Israel unseren Glauben vor der Welt."

Ein Christ könne sagen, dass Jesus Christus für ihn der Messias ist. Weil aber Paulus im Römerbrief schreibe, dass am Ende der Zeiten auch die Juden die christliche Botschaft erkennen werden, sehe er keine Empfehlung zur Missionierung von Juden. Vielmehr sei es "Gottes Sache". Man könne aus Paulus‘ Worten schließen, dass das jüdische Volk am Ende der Zeiten "nicht an Jesus vorbeikommen wird". Die Einladung zum Glauben an Gott gelte jedoch grundsätzlich jedem Menschen, so Schneider.

Zum Vergleich der Verhältnisse der Kirche zum Islam und zum Judentum sagt Schneider: "Der Islam ist deutlich unterschieden von Judentum und Christentum, keine Frage. Er ist nicht unsere Wurzel, wie es das Judentum ist." Dennoch halte er den Dialog mit den Muslimen für notwendig, "damit wir zu einem freundlichen Miteinander gegenseitiger Wertschätzung kommen".

"Erschrocken" über Aufsatz im "Deutschen Pfarrerblatt"

Er hoffe, dass der christlich-jüdischen Dialog "zu etwas mehr Leichtigkeit" gelange und fügte hinzu; "Das braucht Zeit. Vielleicht könnten dafür jüngere Leute sorgen, die wir im jüdisch-christlichen Dialog dringend benötigen."

Ihn alarmiere eine Studie, derzufolge unter Kirchenmitgliedern antisemitische Haltungen verbreiteter sind als im Rest der Bevölkerung. Schneider: "In den Gemeinden nehme ich das so nicht wahr." Die Zeitung fragte nach, warum in manchen evangelischen Milieus antiisraelische Thesen durchaus positiv aufgenommen würden – wie etwa das "Kairos-Papier" christlicher Palästinenser, die zum Boykott Israels aufrufen, oder ein Aufsatz im "Deutschen Pfarrerblatt", wo die "Landnahme" als Hauptziel bei der Gründung des Staates Israel angesehen wird. Schneider antwortete: "An das ‚Kairos-Papier‘ habe ich kritische Fragen. Über den Aufsatz im ‚Deutschen Pfarrerblatt‘ war ich erschrocken. In meiner grundsätzlichen Solidarität mit Israel verschließe ich mich aber nicht den Klagen der Palästinenser, denn auch sie haben eine Leidensgeschichte zu erzählen, die ich ernst nehme."

Was auf evangelischen Kanzeln passiere, wenn Israel zur Einsicht gelange, dass der iranischen Atomdrohung nur durch einen Militärschlag zu begegnen sei, fragte die "WamS", und Schneider antwortete: "Es wird keine einheitliche Sprachregelung geben. Die meisten Predigerinnen und Prediger dürften es einerseits wohl beklagen, dass diplomatische Mittel nicht intensiver genutzt wurden. Andererseits wird zu hören sein, dass wir Israel verbunden sind und deshalb Verständnis für seine Sicherheit aufbringen müssen. Die meisten werden den Krieg ablehnen, denn Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein." Er selbst hoffe, dass Militärschläge und Krieg verhindert werden können. (pro)
http://www.welt.de/print/wams/politik/article13915183/Da-sind-wir-den-Juedinnen-und-Juden-ganz-nah.html
http://www.deutscher-koordinierungsrat.de/02_01.php
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