Der mit dem Wulff tauscht

Eigentlich hatte Joachim Gauck im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" 2010 eine erneute Kandidatur für das Bundespräsidentenamt in fünf Jahren abgelehnt. Weil er jetzt als Konsenskandidat aller Fraktionen und Parteien gilt, will sich der Theologe am 18. März doch dem Votum der Bundesversammlung stellen.
Von PRO

Nach seiner Nominierung am Sonntag war Gauck am meisten davon bewegt, dass ein Mensch, der noch im finsteren Krieg geboren worden sei und 50 Jahre in einer Diktatur gelebt habe, an die Spitze des Staates gerufen werde. Bei seiner Zusage habe es ihm unglaublich geholfen, dass sich die Parteien zusammengefunden hätten. Bundeskanzlerin Angela Merkel dankte er für das Vertrauen, das sie ihm entgegenbringe. Als eine der Hauptaufgaben erachtete Gauck, "dass die Menschen in diesem Land wieder lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können".


Menschen sollen neu Verantwortung übernehmen



Es gehe ihm darum, Menschen wieder neu einzuladen, eine Haltung von Verantwortung anzunehmen und nicht nur als Zuschauer und kritischer Begleiter der öffentlichen Dinge herumzustehen: "So fühle ich mich eingeladen und geehrt und – ja irgendwann, ganz tief in der Nacht – werde ich vielleicht auch beglückt sein. Im Moment bin ich mehr verwirrt", beendete Gauck seine Stellungnahme zur Nominierung am Sonntag. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den 72-Jährigen im Taxi erreicht, um ihm diese mitzuteilen.

Über den schnellen, überparteilichen Konsens freute sich der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener: "Der Respekt vor der Bundesversammlung verbietet aber jegliches vorschnelle Resumée." Die Erwartungen, die teilweise mit Gaucks Namen verknüpft werden, seien so hochfliegend, dass er Herrn Gauck nur zu seinen ersten Äußerungen gratulieren könne: "Es geht um einen Menschen, mit Stärken und Schwächen, in einem sehr schwierig gewordenen Amt. Als Christinnen und Christen werden wir das weitere Geschehen bis zur Wahl, ebenso wie den Kandidaten Joachim Gauck, aufmerksam verfolgen und in der Fürbitte begleiten", erklärte Diener gegenüber pro.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war sich sicher, dass Gauck "wichtige Impulse für die Herausforderung unserer Zeit und der Zukunft" geben könne und verwies dabei auf die Globalisierung, die Schuldenkrise, die innere und äußere Sicherheit und "nicht zuletzt das immer wieder neu zu schaffende Vertrauen in die Demokratie und unsere freiheitliche Grundordnung". Parteichef Sigmar Gabriel, der sich immer wieder für Gauck stark gemacht hat, würdigte den Einsatz des damaligen DDR-Bürgerrechtlers für Freiheit und Demokratie.



Verlorengegangenes Vertrauen wieder gewinnen

Grünen-Chefin Claudia Roth sprach von einem "historischen Moment". FDP-Chef Philipp Rösler hofft, dass Gauck verlorengegangenes Vertrauen und verlorengegangene Würde wieder in das höchste Staatsamt zurückbringen werde: "Wir gehen davon aus und sind fest davon überzeugt, dass er auch ein guter Bundespräsident für uns werden wird", sagte Rösler der Nachrichtenagentur dpa.

Generalsekretärin Andrea Nahles rechnet damit, dass der designierte Bundespräsident Joachim Gauck auch unbequem sein wird. "Ich will aber auch keinen Bundespräsidenten, der pflegeleicht ist", sagte sie am Montag im "ZDF-Morgenmagazin". Gauck werde den Dialog mit den Bürgern suchen. Nahles verband damit die Hoffnung, "dass er die Kluft zwischen Politik und Bürgern wieder bisschen kleiner macht". Die "Linke" kündigte unterdessen an, einen eigenen Kandidaten präsentieren zu wollen.

Den Bruch der Koalition riskiert



Bei aller Begeisterung über die Kandidatur, gibt es auch kritische Stimmen zur Personalie Gauck. Aus Sicht von Alexander Görlach vom Online-Portal "The European" ist er deswegen der falsche Kandidat, "weil die Art, wie diese Kandidatur zustande kam, allem Hohn spricht, was vor der Kandidatur über die Kandidatur gesagt wurde". Görlach bilanziert: "Ohne Angela Merkel hätte es den Kandidaten Joachim Gauck nicht gegeben." In der Bundesversammlung habe eine Ampelkoalition keine Mehrheit: "Wenn bei Brüderle, Gabriel und Trittin der Testosteron-Spiegel gesunken sein wird, werden sie merken, dass Angela Merkel die einzige Siegerin des Kandidatenlaufs um das Amt des Bundespräsidenten ist. Dann werden die Gesichter lang", schlussfolgert Görlach.



Der parteilose Gauck, 1940 in Rostock geboren, fiel zu DDR-Zeiten als Pastor durch seine kritischen Predigten gegen das Stasi-Regime auf. Ein prägendes Erlebnis seiner Kindheit war die Verschleppung seines Vaters in russische Gefangenschaft. Daraus resultierte auch die ablehnenden Haltung der ganzen Familie gegenüber dem SED-Regime. Gaucks Wunsch, Journalist zu werden schied unter DDR-Bedingungen aus. Er studierte in Rostock Theologie und arbeitete nach seiner Ordination ab 1967 für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Mecklenburg. Seit 1974 wurde er vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet.



Engagement gegen das Vergessen



Im Zuge des Bürgerprotests gegen die DDR-Oberen im Herbst 1989 nahm Gauck auch durch seine Predigten eine viel beachtete Rolle ein. Nach dem Fall der Mauer und der ersten und einzigen freien Wahl in der DDR war er 1990 Abgeordneter der Volkskammer. Ab dem 3. Oktober 1990 legte er sein Mandat nieder und übernahm die Leitung der Stasi-Unterlagen-Behörde, die im Volksmund seinen Namen trägt. Nachdem im Jahr 2000 Marianne Birthler seine Nachfolgerin wurde, engagierte er sich gesellschaftspolitisch. Seit 2003 ist er Vorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen – Für Demokratie".

Hinsichtlich der Frage nach seinem politischen Standort bezeichnet er sich einmal als "linken, liberalen Konservativen" und "aufgeklärten Patrioten". 2010 unterlag er erst im dritten Wahlgang dem zurückgetretenen Christian Wulff und durfte sich laut Medien als "Sieger der Herzen" fühlen. Aus seiner ersten Ehe seiner Frau Hansi, sie trennten sich 1991, gingen vier  Kinder hervor. Seit dem Jahr 2000 ist Gauck mit der deutschen Journalistin Daniela Schadt liiert.



Er ist zudem Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze, unter anderem auch zu seinen Diktaturerfahrungen. Unterdessen wurde bekannt, dass der Münchener Kösel-Verlag auch die Veröffentlichung von Gaucks neuestem mit dem Titel "Freiheit. Ein Plädoyer" vorziehen will. Grund dafür ist nach Angaben einer Verlagssprecherin die große Nachfrage. Die Entscheidung dazu sei schon vor rund anderthalb Wochen gefallen und habe nichts mit seiner gestrigen Nominierung zu tun. Gauck bekam die Ehrendoktorwürde an den Universitäten Rostock und Jena verliehen. Stellvertretend für die "friedlichen Demonstranten des Herbstes 1989 in der ehemaligen DDR" erhielt er die Heuss-Medaille. Eine weitere seiner zahlreichen Auszeichnungen ist das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland.


Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" attestierte er der deutschen Gesellschaft einen Hunger nach Sinn. Gerade eine langwirkende Diktatur wie die DDR habe zu einer fortwährenden Entmächtigung der Bürger geführt. Bürger müssten sich ernstgenommen fühlen, dann könne auch Identifikation mit dem eigenen Land entstehen. (pro/mit dpa-Material)

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