Ein Theologe unter Naturwissenschaftlern

Normalerweise beschäftigen sich die Artikel des Magazins "Spektrum der Wissenschaft" mit handfesten naturwissenschaftlichen Themen wie Weltraum, Klima, Bakterien, Materialforschung und Teilchenphysik. In der Ausgabe 1/2012 kommt jedoch ein Theologe zu Wort, auf acht Seiten, und noch dazu ein Prof. Dr. Dr., der über das Verhältnis zwischen "Vernunft und Glaube" referiert.
Von PRO
Prof. Dr. phil. Dr. rer. nat. Christian Tapp ist Juniorprofessor für Philosophisch-Theologische Grenzfragen in der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und Leiter der Emmy-Noether-Nachwuchsforschergruppe "Infinitas Dei" (Die Unendlichkeit Gottes). Sein Leitartikel "Vernunft und Glaube" ist ein acht Seiten langer Versuch, erst ein Spannungsfeld zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Religion und Wissenschaft, aufzuzeigen, um es dann als nicht wirklich stark zu relativieren.

Der Leser muss sich auf "Theologen-Sprech" gefasst machen, was bedeutet, dass er kaum persönliche Meinungen oder gar christliche Bekenntnisse erwarten darf, sondern eine Aneinanderreihung von Zitaten verstorbener Personen. Tapp stellt viele Fragen, beantwortet sie jedoch nur mit Worten anderer, gerne auf Latein. Manchmal prescht er aber auch mit eigenen Meinungen vor, etwa so: "Für den Gott des Christentums ist die Vernunft nicht irgendeine Äußerlichkeit, er ist selbst ‚höchst-vernünftig‘. Und der Mensch, der als sein Abbild geschaffen wurde, hat durch die Fähigkeit, zu erkennen und zu verstehen, Anteil am Göttlichen."

Dabei ist nicht wirklich klar, an welche "Schöpfung" ein Theologe wie Tapp glaubt. Die Bibel und die moderne Naturwissenschaft stünden immerhin in Widersprüchen zueinander, meint der Theologe. Die biblische Schöpfungsgeschichte etwa einerseits, die Überzeugungen der meisten Naturwissenschaftler andererseits. Soll es eine Auferstehung der Toten gegeben haben? Tapp betont, dass es immer einer "angemessene Auslegung" der Bibeltexte bedürfe. Denn die seien "in einer ganz anderen Zeit als der unsrigen geschrieben worden, mit anderen Absichten und Zielen, mit einem anderen geistigen Horizont".

Tapp: "Wenn es in den biblischen Texten nur um historische Berichte ginge, wen (außer ein paar Historikern) würde das wirklich interessieren? Ob nun ein gewisser Jesus vor 2000 Jahren durch Galiläa oder durch Bethanien gelaufen ist; ob ein antiker Prophet dies oder jenes gesagt hat" und andere sei in den Augen Tapps zwar "pikant und unterhaltsam",  wäre aber letztlich "irrelevant". Diese Ansicht wird spätestens dann interessant, wenn man bedenkt, dass eben jener Jesus Wunder vollbracht haben, gar vom Tod auferstanden sein soll und für den Sohn des hebräischen Gottes gehalten wurde. Tja, wen würde das interessieren, sollte es wahr gewesen sein?

Bibel bitte nicht wörtlich nehmen

Der Kirchenvater Augustinus jedenfalls sei überzeugt gewesen, dass die Bibel keine Erklärung von Naturphänomenen liefern, sondern einen Heilsweg aufzeigen wolle. "Dass die Bibel eine Heilige Schrift ist, verdankt sie einer anderen Bedeutungsebene: den Aussagen über Gotteserfahrungen", so Tapp. Dementsprechend bezeichnet der Theologe einen Kreationismus, also die Ansicht, Gott habe die Welt wie in der Bibel beschrieben erschaffen, als "peinlich". "Die Christen müssen die sicheren wissenschaftlichen Erkenntnisse akzeptieren." Vielmehr müsse man die "geistliche Botschaft" der Bibeltexte – etwa der ersten Schöpfungserzählung – finden. "So müssen also im Licht neuer Situationen oder neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Texte immer wieder neu gedeutet und auch Selbstverständlichkeiten der Bibelinterpretation grundsätzlich in Frage gestellt werden", so Patt.

Der Theologe ist überzeugt: "Vernunftfreundlichkeit gehört zum christlichen Glauben." Tapp ist jedoch auch bewusst, dass man so argumentieren könnte: "Gerade weil der christliche Glaube beansprucht, wahr zu sein, muss er davon ausgehen, dass er Ergebnissen der Naturwissenschaften nicht wirklich widersprechen kann. Denn wenn beides wahr wäre, Glaube und wissenschaftliche Erkenntnis, und beides sich widerspräche, müsste es zwei sich widersprechende Wahrheiten geben." Der Theologe fügt jedoch gleich hinzu: "Das aber ist offenkundig unmöglich. Die entscheidende Frage lautet hier, ob der Glaube seinen Wahrheitsanspruch auch berechtigterweise erheben kann." Auch wenn er die biblische Schöpfungslehre ablehnt, ist er der Überzeugung, dass Gott "der Grund für die Ordnungsstrukturen der Welt" ist, "Iogos der Grund dafür, dass die Welt für uns verstehbar ist".

Theologie prima für die "abendländische Kultur"

Der Rest des Textes befasst sich mit der Frage nach der Vereinbarkeit des Glaubens an einen gütigen und allmächtigen Gott und dem Übel in der Welt sowie mit der Frage, wie sich die Theologie als Wissenschaft behaupten könne. "Der Kern des Streits liegt in der so genannten Glaubensbindung. Bei allen anderen Kriterien schneidet die Theologie ebenso gut ab wie andere Geisteswissenschaften. Die Bindung an den Glauben ist jedoch offenbar ein Spezifikum, das Theologie von anderen akademischen Fächern unterscheidet. (…) Wissenschaftstheoretisch halte ich aber die inhaltliche Bindung der Theologie an den Glauben für das interessantere Problem, weil dies ja die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Glaube berührt."

Was also ist Glaube für Patt? "Es ist schwierig, die Frage nach der Wahrheit des Glaubens von außen zu beantworten. So lange sie aber offenbleibt, reduziert sich das Problem der Glaubensbindung darauf, dass es sich um die Bindung an etwas handelt, dessen Wahrheit sich erst noch herausstellen muss." Immerhin, Theologie sei notwendig, denn: "Wenn wir uns staatliche Theologen leisten, hat das Vorteile für unsere Gesellschaft: Wir bewahren uns einen integrativen Teil der abendländischen Kultur."

Eine der interessantesten Fragen stellt Patt zum Schluss: "Bei all den Problemen könnte man fragen: Warum überhaupt der ganze Aufwand? Warum denn muss der Glaube all seine Widersprüche auflösen? Warum muss Theologie unbedingt auch Wissenschaft sein wollen? Warum sich nicht einfach auf den Standpunkt privater Überzeugungen und weltanschaulicher Entschiedenheit zurückziehen?" Tapps Antwort: Weil der christliche Glaube immer den "ganzen Menschen" abziele. Sowohl Herz, als auch Verstand. "Er ist, in den Worten von Anselm von Canterbury (1033 – 1109) fides quaerens intellectum – Glaube, der nach Einsicht verlangt." Ob diese Antwort befriedigt? Nun, vielleicht hängt es davon ab, ob Sie Theologe sind, oder nicht. (pro)
http://www.spektrum.de/alias/inhaltsverzeichnis/januar-2012/1115643
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