Unlängst wurde den USA eine Offenbarung zuteil: Herman Cain, Präsidentschaftskandidat-Kandidat der Republikaner, ließ seine amerikanischen Mitbürger wissen, Gott selbst habe ihn überzeugt, zu kandidieren. Dem sei ein langes Gebet vorausgegangen: "Ich betete und betete und betete – ich bin ein Mann des Glaubens. Ich musste viel beten, mehr als ich jemals zuvor in meinem Leben gebetet habe."
Diese Haltung in allen Ehren, doch provozieren Zeit und Ort der Bekundung Fragen: Warum kam Cain auf sein Gotteserlebnis ausgerechnet dann zu sprechen, als er sich dem Vorwurf sexueller Belästigung von gleich vier Frauen ausgesetzt sah? War dies ein Versuch, von der Debatte um die Vorwürfe abzulenken? Und warum stilisiert er sich in der Rede vor jungen Republikanern als moderner Mose?
Cain scheint nicht der einzige Kandidat mit einer exklusiven Verbindung zu Gott zu sein. Vor einem Monat ließ Anita Perry, die Frau des Kandidaten Rick Perry aus Texas, in einem Interview durchblicken, Gott habe etwas Besonderes mit ihnen vor: "Vielleicht hat Gott auch die anderen [Kandidaten] berufen, aber ich fühle, dass wir für diesen Zweck hier sind." Oder ist es doch Michele Bachmann, die in Gottes Augen die Richtige ist? Immerhin "fühlte" die Abgeordnete aus Minnesota schon vor einigen Monaten, Gott selbst habe sie erwählt, zu kandidieren.
In der "Nation mit der Seele einer Kirche" (G. K. Chesterton) ist es nichts Ungewöhnliches, dass Religion in der Öffentlichkeit eine bedeutende Rolle einnimmt. Stars und Sternchen (Bieber!) bekennen sich regelmäßig zum christlichen Glauben. Doch bei all den göttlichen Berufungen der Kandidaten ist der politische Laie schon einmal irritiert. Und fragt sich: Bekennen sich die möglichen Herausforderer Barack Obamas zum christlichen Glauben (nur), um Wählerstimmen zu ergattern? Verstoßen sie gegen das zweite der Zehn Gebote, wo es unmissverständlich heißt: "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen"?
Jedenfalls wecken die inflationären Meldungen über "Berufungen" durch Gott Verdachtsmomente. Europäer sehen Derartiges zu Recht kritisch, blicken sie doch auf eine lange Tradition der Vereinnahmung von Religion durch die Politik zurück. Selten gereichte dies dem "Alten Kontinent" zum Guten. Die europäischen Nationen haben daher gelernt, Politik und Religion zu unterscheiden. Und setzten damit letztlich um, was Jesus Christus meinte, als er sagte, sein Reich sei nicht von dieser Welt.
Es geht hier nicht darum, den genannten Kandidaten ihren Glauben abzusprechen. Zu kritisieren ist aber die Verwendung dieses Glaubens als ausschlaggebendes politisches Argument für eine politische Wahl. Religion mag die eine Säule sein, auf der sich die amerikanische Nation gegründet hat. Die andere aber ist der moderne Individualismus. Und beides geht dort drüben leider des Öfteren Hand in Hand.