Gott habe es heute schwer, schreibt Zollitsch. "Zumindest im öffentlichen Leben unserer postmodernen Gesellschaft." Als persönliche Entscheidung werde der Glaube an Gott zwar toleriert, aber von nicht wenigen Zeitgenossen gebe es intensive Bestrebungen, ihn gänzlich ins Private zurückzudrängen.
Allerdings sei es interessant zu beobachten: "Während Gott heute in Gefahr steht, aus dem Alltag von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Freizeit verdrängt zu werden, und Menschen dazu neigen, alles selbst machen zu wollen, machen wir die Erfahrung, dass sie in Krisen und Katastrophen geradezu reflexartig auf die religiöse Sprache und auf christliche Rituale, auf Orte der Besinnung und des Gebets zurückzugreifen." Darin zeige sich die Suche nach dem Licht der Hoffnung in Zeiten der Dunkelheit. Doch dieses Licht Gottes brenne immer – auch wenn es im Leben wieder heller, freudiger und besser werde. "Wie zu allen Zeiten, seit ihrem Bestehen, ist es auch heute der erste und ureigenste Auftrag der Kirche, diesen Gott, der in Jesus Christus Mensch und damit einer von uns geworden ist, zu verkündigen und zu bezeugen", betont der Freiburger Erzbischof.
"Glaube ist kein Störfall"
Darüber hinaus stellt er klar: "Wir fragen nach Gott, weil Gott nach uns fragt, weil er keine anonyme Macht und ‚eine irgendwie geartete spirituelle Kraft‘ ist, sondern ein personaler, uns zugewandter Gott, der uns als freie Menschen erschaffen hat." Eine verantwortete Freiheit, die sich als "Freiheit für" statt "Freiheit von" begreife, wisse auch um ihre Grenzen, schreibt Zollitsch. "Nicht alles, was möglich und machbar ist, ist für unser Zusammenleben gut." Der christliche Glaube weite den Blick. Er sei kein Störfall für die weitere wissenschaftlich-technische und kulturelle Entwicklung hin zu einer freien, solidarischen und menschenfreundlichen Gesellschaft, "sondern vielmehr Garant, ja Triebkraft dafür, dass der Mensch niemals auf Konsum und Humankapital verkürzt, sondern seine Würde geachtet und geschützt wird".
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz verwies darauf, dass die Kirche nicht ausschließlich als Wertelieferant der Gesellschaft verstanden und auf die Funktion als "Bundesagentur für Werte" reduziert werden dürfe. Dieser Versuchung wäre dann beizukommen, wenn die Kirche "auch das in die Gesellschaft hineinträgt, was nicht den Erwartungen, nicht den Modetrends oder dem Zeitgeist entspricht". So müssten etwa diejenigen, die sich auf den Gerechtigkeitsimpuls der katholischen Soziallehre berufen, auf die Rechte der ungeborenen Kinder hingewiesen werden. (pro)