Der 90-minütige SWR-Film "Hunger", zu dessen Produzenten die Evangelische Kirche in Deutschland gehört, stellt Aspekte der Hungerproblematik in den Ländern Mauretanien, Kenia, Indien, Brasilien und Haiti vor. Dabei will er bewusst nicht anklagen, "sondern denjenigen Menschen eine Stimme geben, die an Hunger leiden", heißt es in der Ankündigung. Vielleicht hätte man sich, im Gegenteil, noch mehr gewünscht, dass die beiden Autoren anklagen, Schuldige nennen und über Lösungsvorschläge informieren.
Bei Dokumentationen über das Thema ist man gewohnt, abgemagerte Kinder mit aufgedunsenen Bäuchen in afrikanischen Dörfern zu sehen. Doch "Hunger" wirkt weniger alarmierend, man sieht viele Menschen beim Fischen, Essen, Trinken, oder wie sie mit Wasser LKW waschen und gleichzeitig über Wassermangel klagen, weil woanders Blumen gegossen werden. Das Problem Hunger hat eben auch andere Gesichter. Insofern ist der Film von Vetter und Steinberger sicher aufklärerisch und wichtig. Doch leider sind Probleme wie der Welthunger vor allem eines: komplex. Und diese Komplexität wird nur unzureichend dargestellt.
Der Film wurde produziert von der Firmengruppe EIKON. Deren größter Gesellschafter ist die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Marcus Vetter hat für frühere Dokumentarfilme bereits den Deutschen Filmpreis 2010 erhalten, und für die EIKON-Produktion "Das Herz von Jenin" den Grimme-Preis und den "Cinema for Peace Award". Karin Steinberger arbeitet für die "Süddeutsche Zeitung" und wurde für ihre Reportagen mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Medienpreis für Menschenrechte.
Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider sprach von einem "herausragenden Dokumentarfilm zum Verständnis der Hungerproblematik in der Welt". Schneider weiter: "Der Film ist eine gute Unterstützung der Anstrengungen der Kirchen zu Bekämpfung des Hungers." Gebhard Fürst, Medienbischof der Deutschen Bischofskonferenz würdigte den Film als "herausragenden Beitrag zur Sensibilisierung der Menschen für die Problematik sozialer Gerechtigkeit".
Eine Bildungs-DVD zum Thema Hunger produzierte EIKON in Zusammenarbeit mit "Brot für die Welt", dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), dem Evangelischen Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF), der Welthungerhilfe, dem Deutschen Entwicklungsdienst (ded), der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz), dem Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR und INKOTA, dem Netzwerk der Eine-Welt-Läden.
Industrialisierung oder traditioneller Ackerbau?
Mehr als eine Milliarde Menschen leiden an Hunger. Derartige Fakten blendet der Film, der ansonsten ohne Kommentar auskommt, an einigen Stellen ein. Doch manches bleibt widersprüchlich. Etwa, wenn im Hintergrund Kinder an einem Brunnen mit Wasser spielen, und im Vordergrund Massai-Bauern darüber klagen, dass eine benachbarte Blumen-Fabrik ein Teil ihres Wassers abzweigt. "40 Prozent der Kenianer haben keinen Zugang zu Trinkwasser", heißt es. Doch dass dies an einer Blumenfarm in Nairobi liegt, kann man schwer glauben. Und was ist falsch daran, Rosen anzupflanzen, sie zu verkaufen, die Arbeit zu organisieren, Arbeitsplätze zu schaffen?
Die Ursachen für den Hunger, den der Film aufzeigen will, bleiben oft im Dunkeln. Ist es die Globalisierung? Der Klimawandel? Der Anbau von neuartigem, genmanipuliertem Saatgut anstelle von herkömmlichem? In Indien klagt die Molekularbiologin Suman Sahai, dass die ursprünglichen Reissorten Indiens verloren gehen und nur noch genmanipulierter Reis angebaut wird. "Wenn Indien den Ursprungssamen von Reis nicht rettet, verliert die Welt den Reis. In Indien gab es mal 60.000 bis 70.000 verschiedene Reissorten. Wo sind die hin?"
Ja, wo sind sie hin? Und warum kehrt niemand wieder zum herkömmlichen Reis zurück? Und kann genmanipulierter Reis nicht vielleicht sogar helfen, dem Problem der dramatisch wachsenden Bevölkerung in der 3. Welt zu begegnen? Dies sieht zumindest der in dem Film gezeigte Genforscher Asis Datta aus Neu Delhi so: "Wenn man ein besseres Saatgut entwickeln kann, warum nicht?" Der heutige Hybrid-Reis wachse viel schneller und höher als der herkömmliche Reis.
Peter Ekei Lokoel von der Hilfsorganisation "Help Age International", ist überzeugt: "Natürlich brauchen wir in akuter Not Nahrungsmittel. Aber die Hilfe sollte auch nachhaltig sein. Bei einer Dürrekatastrophe reicht es nicht, einfach nur Wasser zu bringen." Er wünscht sich für die Hunger-Gebiete in Kenia langfristige Projekte statt ausschließlich UN-Lebensmittelhilfe mit Säcken voll Korn, die nur für kurze Zeit helfen.
Im brasilianischen Amazonas-Gebiet ist klar: Die großen Firmen können mit großen Maschinen besser wirtschaften als die Kleinbauern. Aber kann daraus der Schluss gezogen werden, dass man wieder zu den alten Maschinen zurückkehren sollte? Unternehmen roden Bäume, um Rinder weiden zu können, mit denen man mehr Geld machen kann. Doch eine Einblendung erklärt: "Für die Produktion von Fleisch braucht man siebenmal so viel Agrarland wie für Getreide." Die Vernichtung des Regenwaldes begünstige die Klimaerwärmung. Ein Soja-Bauer wendet ein: "Die Leute sollten verstehen, dass die Abholzung des Regenwaldes nicht das Universum zerstört, sondern dabei hilft, den Hunger in der Welt zu verringern." Hunger-Probleme sind eben komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen lässt.
Die Dokumentation "Hunger" klärt über einige interessante Aspekte der Hungerproblematik in den fünf Ländern auf. Aber leider vermisst man oft Details, weitergehende Szenarien zur Lösung der Probleme und eine Einbettung in globale Zusammenhänge. Am Ende bleiben mehr Fragezeichen als zuvor. Aber vielleicht war das ja die Absicht der Filmemacher? (pro)
Sendezeiten:
25. Oktober, 22.45 Uhr im Ersten
26. Oktober, 20.15 Uhr auf Phoenix mit anschließender Diskussion
27. Oktober, 20.15 Uhr auf Eins Plus
5. und 12. November, SWR Fernsehen
25. Oktober, 14 Uhr, Gespräch mit Marcus Vetter in Deutschlandradio Kultur
Bei Dokumentationen über das Thema ist man gewohnt, abgemagerte Kinder mit aufgedunsenen Bäuchen in afrikanischen Dörfern zu sehen. Doch "Hunger" wirkt weniger alarmierend, man sieht viele Menschen beim Fischen, Essen, Trinken, oder wie sie mit Wasser LKW waschen und gleichzeitig über Wassermangel klagen, weil woanders Blumen gegossen werden. Das Problem Hunger hat eben auch andere Gesichter. Insofern ist der Film von Vetter und Steinberger sicher aufklärerisch und wichtig. Doch leider sind Probleme wie der Welthunger vor allem eines: komplex. Und diese Komplexität wird nur unzureichend dargestellt.
Der Film wurde produziert von der Firmengruppe EIKON. Deren größter Gesellschafter ist die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Marcus Vetter hat für frühere Dokumentarfilme bereits den Deutschen Filmpreis 2010 erhalten, und für die EIKON-Produktion "Das Herz von Jenin" den Grimme-Preis und den "Cinema for Peace Award". Karin Steinberger arbeitet für die "Süddeutsche Zeitung" und wurde für ihre Reportagen mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Medienpreis für Menschenrechte.
Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider sprach von einem "herausragenden Dokumentarfilm zum Verständnis der Hungerproblematik in der Welt". Schneider weiter: "Der Film ist eine gute Unterstützung der Anstrengungen der Kirchen zu Bekämpfung des Hungers." Gebhard Fürst, Medienbischof der Deutschen Bischofskonferenz würdigte den Film als "herausragenden Beitrag zur Sensibilisierung der Menschen für die Problematik sozialer Gerechtigkeit".
Eine Bildungs-DVD zum Thema Hunger produzierte EIKON in Zusammenarbeit mit "Brot für die Welt", dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), dem Evangelischen Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF), der Welthungerhilfe, dem Deutschen Entwicklungsdienst (ded), der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz), dem Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR und INKOTA, dem Netzwerk der Eine-Welt-Läden.
Industrialisierung oder traditioneller Ackerbau?
Mehr als eine Milliarde Menschen leiden an Hunger. Derartige Fakten blendet der Film, der ansonsten ohne Kommentar auskommt, an einigen Stellen ein. Doch manches bleibt widersprüchlich. Etwa, wenn im Hintergrund Kinder an einem Brunnen mit Wasser spielen, und im Vordergrund Massai-Bauern darüber klagen, dass eine benachbarte Blumen-Fabrik ein Teil ihres Wassers abzweigt. "40 Prozent der Kenianer haben keinen Zugang zu Trinkwasser", heißt es. Doch dass dies an einer Blumenfarm in Nairobi liegt, kann man schwer glauben. Und was ist falsch daran, Rosen anzupflanzen, sie zu verkaufen, die Arbeit zu organisieren, Arbeitsplätze zu schaffen?
Die Ursachen für den Hunger, den der Film aufzeigen will, bleiben oft im Dunkeln. Ist es die Globalisierung? Der Klimawandel? Der Anbau von neuartigem, genmanipuliertem Saatgut anstelle von herkömmlichem? In Indien klagt die Molekularbiologin Suman Sahai, dass die ursprünglichen Reissorten Indiens verloren gehen und nur noch genmanipulierter Reis angebaut wird. "Wenn Indien den Ursprungssamen von Reis nicht rettet, verliert die Welt den Reis. In Indien gab es mal 60.000 bis 70.000 verschiedene Reissorten. Wo sind die hin?"
Ja, wo sind sie hin? Und warum kehrt niemand wieder zum herkömmlichen Reis zurück? Und kann genmanipulierter Reis nicht vielleicht sogar helfen, dem Problem der dramatisch wachsenden Bevölkerung in der 3. Welt zu begegnen? Dies sieht zumindest der in dem Film gezeigte Genforscher Asis Datta aus Neu Delhi so: "Wenn man ein besseres Saatgut entwickeln kann, warum nicht?" Der heutige Hybrid-Reis wachse viel schneller und höher als der herkömmliche Reis.
Peter Ekei Lokoel von der Hilfsorganisation "Help Age International", ist überzeugt: "Natürlich brauchen wir in akuter Not Nahrungsmittel. Aber die Hilfe sollte auch nachhaltig sein. Bei einer Dürrekatastrophe reicht es nicht, einfach nur Wasser zu bringen." Er wünscht sich für die Hunger-Gebiete in Kenia langfristige Projekte statt ausschließlich UN-Lebensmittelhilfe mit Säcken voll Korn, die nur für kurze Zeit helfen.
Im brasilianischen Amazonas-Gebiet ist klar: Die großen Firmen können mit großen Maschinen besser wirtschaften als die Kleinbauern. Aber kann daraus der Schluss gezogen werden, dass man wieder zu den alten Maschinen zurückkehren sollte? Unternehmen roden Bäume, um Rinder weiden zu können, mit denen man mehr Geld machen kann. Doch eine Einblendung erklärt: "Für die Produktion von Fleisch braucht man siebenmal so viel Agrarland wie für Getreide." Die Vernichtung des Regenwaldes begünstige die Klimaerwärmung. Ein Soja-Bauer wendet ein: "Die Leute sollten verstehen, dass die Abholzung des Regenwaldes nicht das Universum zerstört, sondern dabei hilft, den Hunger in der Welt zu verringern." Hunger-Probleme sind eben komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen lässt.
Die Dokumentation "Hunger" klärt über einige interessante Aspekte der Hungerproblematik in den fünf Ländern auf. Aber leider vermisst man oft Details, weitergehende Szenarien zur Lösung der Probleme und eine Einbettung in globale Zusammenhänge. Am Ende bleiben mehr Fragezeichen als zuvor. Aber vielleicht war das ja die Absicht der Filmemacher? (pro)
Sendezeiten:
25. Oktober, 22.45 Uhr im Ersten
26. Oktober, 20.15 Uhr auf Phoenix mit anschließender Diskussion
27. Oktober, 20.15 Uhr auf Eins Plus
5. und 12. November, SWR Fernsehen
25. Oktober, 14 Uhr, Gespräch mit Marcus Vetter in Deutschlandradio Kultur